Mit LA COCINA blickt der mexikanische Regisseur Alonso Ruizpalacios hinter die Kulissen der Küche des Restaurants „The Grill“ am New Yorker Times Square – und liefert damit ein absolutes Brett ab.
Im „The Grill“ am Times Square herrscht auf den ersten Block das totale Chaos. Kein Wunder, wenn allein an einem normalen Freitag mehr als 3.000 Gäste bedient werden. Doch wenn man einmal genauer hinschaut, dann erkennt man eine Art von Hierarchie, ohne die hier alles zusammenbrechen würde. Am untersten Ende stehen all die illegalen Immigranten, die darauf hoffen, irgendwann Papiere zu bekommen. Einer von ihnen ist Pedro (Raúl Briones), eine Träumer und Hitzkopf, der heimlich eine Affäre mit der Bedienung Julia (Rooney Mara) hat. Als plötzlich mehr als 800 US-Dollar in der Kasse fehlen, fällt der Verdacht schnell auf Pedro, da dieser zufälligerweise genau diese Summe für eine Abtreibung an Julia übergeben hat. Was folgt ist ein Strudel der Ereignisse, der die Produktion in der vermutlich hektischsten Küche der Welt komplett herunterfährt.
Mit LA COCINA zollt der Regisseur Alonso Ruizpalacios all den unsichtbaren Menschen Tribut, die die Restaurantküchen am Laufen halten, während sie einer möglicherweise unerreichbaren Version des amerikanischen Traums nachjagen. Die Idee zum Film kam ihm, als er selbst während seines Studiums als Tellerwäscher und Kellner im Londoner Restaurant „Rainforest Cafe“ gearbeitet hat. Zur gleichen Zeit stieß er auf das Theaterstück „The Kitchen“ von Arnold Wesker, auf dem der Film lose basiert. Ruizpalacios war fasziniert vom komplexen Kastensystem, das in Großküchen immer noch im Einsatz ist, weil genau das diese Arbeitsplätze am Laufen hält. Der Regisseur wirft in seinem Film aber auch einen Blick auf die Tricks der Restaurantbesitzer, mit denen sie ihr billiges Personal bei der Stange halten. Auch Pedro erkennt viel zu spät, dass das Versprechen, man wird sich bald um seine Papiere kümmern, damit sein Aufenthalt endlich legal werden würde, nur eine Lüge ist, um ihn bei Laune zu halten.
Grenzen spielen eine große Rolle in LA COCINA, egal ob physisch oder sozial. Die vertikale Struktur der Küche ist das perfekte Setting, um herauszufinden, was in einer geteilten Gesellschaft unter der Oberfläche brodelt, wenn sie gezwungen ist, unter einem gemeinsamen Dach zu leben. So spielt Ruizpalacios mit den Grenzen zwischen Front und Back of the House, zwischen Management und den Arbeitskräften sowie zwischen Ausländern und Amerikanern und nutzt das Setting als eine Art Metapher für unsere Gesellschaft – ganz so wie es Ilker Çatak in „Das Lehrerzimmer“ gemacht hat.
Mit seinem Kameramann Juan Pablo Ramírez gelingt es Ruizpalacios, dass wir uns als Zuschauer mitten im Geschehen wiederfinden. Das gelingt vor allem durch sensationelle Plansequanzen, die beinahe den Eindruck eines One-Shots erwecken, aber auch durch die eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Bilder, die der Film nur an einer Stelle durchbricht. Und niemals weiß man, wohin die Geschichte gehen wird, schließlich könnte an jeder Ecke der Küche das nächste Dilemma ausbrechen. LA COCINA ist ein absolutes Brett von einem Film, dass mich so manches mal tief in den Kinosessel gedrückt hat und schwer beeindruckt hat.
Nach der Vorführung hörte ich einige Kollegen sagen, der Film sei viel zu lang und mache zu viel Nebengeschichten auf. Das sehe ich allerdings überhaupt nicht so. Keine einzige der 139 Minuten ist zu viel und gerade die vielen Aspekte der Handlung machen LA COCINA zu einem ganz besonderen Film, der noch lange nachwirkt.
Die deutschen Rechte an LA COCINA hat sich SquareOne gesichert, so dass wir den Film hoffentlich irgendwann regulär in den Kinos bestaunen dürfen.
La Cocina (Mexiko / USA 2024)
139 Minuten
Drama
Alonso Ruizpalacios
Alonso Ruizpalacios
Raúl Briones, Rooney Mara, Anna Diaz, Motell Foster, Oded Fehr, Laura Gómez, James Waterson, Lee Sellars, Eduardo Olmos, Spenser Granese