Der Film der Woche

Roter Himmel

20.04.2023

Gleich vorweg: Christian Petzold ist einer der besten deutschen Regisseure unserer Tage. Für ROTER HIMMEL erhielt er vor wenigen Wochen auf der Berlinale in der Rubrik „Großer Preis der Jury“ den Silbernen Bären. Völlig verdient! Unter uns: In meinen Augen ist ROTER HIMMEL Petzolds bislang großartigster Film. Ein Kino-Wunderwerk, über das man lange nachdenken kann!

Der eher dickliche Leon (Thomas Schubert) erhält von seinem Jugendfreund Felix (Langston Uibel) das Angebot, den heißen, sehr trockenen Sommer im Ferienhaus von dessen Mutter an der Ostsee zu verbringen, damit er endlich seinen zweiten Roman beenden kann. Und so landen beide in einem einsam in einer Lichtung gelegenen Haus in der Nähe von Ahrenshoop im schönen Fischland. Schon Uwe Johnson hatte in dieser Gegend große Teile seiner Romane geschrieben. (Mit dem Namen des berühmten Autors erlaubt sich Christian Petzold übrigens einen fiesen Gag.) In der ersten Nacht werden die Freunde von lauten Sexgeräuschen geweckt. Felix: „Sandra wohnt auch hier – und die Wände sind dünn.“ Doch die Frau (Paula Beer) bekommen sie tagelang nicht zu Gesicht.

Und so sitzt Leon tagein tagaus in einer Laube vor dem Haus, um seiner literarischen Geschichte im Laptop eine Struktur zu geben. Dann lernt er die geheimnisvolle Sandra kennen – und es ist um ihn geschehen. Doch sie zeigt nicht den Hauch von Interesse – ihr Sexpartner ist der örtliche Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs), der am Strand für Ordnung sorgt.

Mitten im Film erlaubt sich Petzold eine Pointe, die so bizarr ist, das man das nicht glauben will. Felix und Devid werden mit angeblichem „Schwulen-Spray“ bestäubt – und Sandra spielt nur noch die zweite Geige. Doch auch jetzt kann Leon nicht bei ihr landen – auch als er ihr das fertige Manuskript zum Lesen gibt. Wutentbrannt schmeisst sie ihm den Text vor die Füße. Und dann kommt Leons Verleger und Lektor Helmut (Matthias Brandt) zu Besuch, der ähnlich reagiert.

Die scheinbare Sommeridylle wird empfindlich gestört, weil sich Waldbrände immer mehr dem Ort und dem Haus nähern. Jeden Abend erleben die Bewohner, wie der Himmel sich rot färbt. Gibt es ein Entkommen? Nach einem Zusammenbruch landet Helmut todkrank im Krankenhaus und muss Leon gestehen: „Der Roman taugt nichts – aber dein drittes Buch, das meine Nachfolgerin betreuen wird, ist dein Durchbruch.“ Und diesen Roman hat Petzold auf verquere Art als ROTER HIMMEL verfilmt. Eine Brechung um mehrere Ecken. Das klingt zwar gewollt literarisch, ist es aber nicht. Das ist alles pures Kino!

Freundschaft, Liebe, Sex, Eifersucht, Hoffnung, Glück, Sonne, Meer – und dann kommt das Feuer. ROTER HIMMEL lebt von den großen Gefühlen, die Christian Petzold ohne Scheu ausgiebig, aber wunderbar unterkühlt inszeniert. Hier ist nichts theatralisch übertrieben. Und am Ende erlaubt er sich eine Schlusseinstellung, die so rätselhaft ist wie der ganze Film. Es passiert nicht viel in diesen 98 Minuten – doch was passiert, ist unglaublich. Ein sensationelles Meisterwerk! Hier hat ein begnadeter Regisseur begriffen, was das Kino ausmacht.

Trailer

Im Rahmen der Berichterstattung
ab12

Originaltitel

Roter Himmel (Deutschland 2023)

Länge

98 Minuten

Genre

Drama

Regie

Christian Petzold

Drehbuch

Christian Petzold

Darsteller

Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs, Matthias Brandt

Verleih

Piffl Medien GmbH

Filmwebsite

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