Im vergangenen Jahr lieferte die Autorin und Regisseurin Kerstin Polte mit BLINDGÄNGER einen eindrucksvollen Film beim Filmfest Hamburg ab. Jetzt kommt der Film endlich auch regulär in unsere Kinos…
Gerade erst hat Otto Bismarck (Bernhard Schütz) eine ernüchternde Krebsdiagnose erhalten, da kommt bereits die nächste Hiobsbotschaft: Im Hamburger Schanzenviertel wurde eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Jetzt muss der Chef des Kampfmittelräumungsdienstes sofort vollen Einsatz zeigen. Auch seiner Mitarbeitern Lane Petersen (Anne Ratte-Polle) geht der Einsatz extrem nahe, schließlich lebt ihre Mutter Margit (Barbara Nüsse) direkt an der Fundstelle und weigert sich, ihre Wohnung zu verlassen. Die 83-jährige hat als Kind die Bombennächte in Hamburg erlebt, und der aktuelle Fund bringt verschüttete Erinnerungen und Ängste hervor. Diese Drucksituation löst bei Lane wiederum eine Panikattacke aus. Dass ihr Chef sich stillschweigend von der Entschärfung zurückzieht, macht das Ganze nicht wirklich besser. Ava (Haley Louise Jones), die neue Psychologin des Bomenentschärfungsteams, erkennt zwar Lanes Trauma, fühlt sich aber im gleichen Moment auch zunehmend zu ihr hingezogen und weiß nicht so recht, wie sie sich verhalten soll.
Derweil versteckt sich der junge, syrische Flüchtling Yunis (Ivar Wafaei) aus Angst vor einer Abschiebung im Haus. Und während Otto auf seinem nächtlichen Streifzug durch den Kontakt zu Viktor (Karl Markovics) endlich wieder etwas fühlen kann, ist sein Verschwinden für seine Frau Hanne (Claudia Michelsen) der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Sie kann ihre innere Leere nicht mehr verbergen und erlaubt sich endlich, zu explodieren. Immer mehr Wunden kommen in dieser Nacht zum Vorschein, Allianzen formen sich, und zu allem Ungemach zieht auch noch ein Unwetter auf. Und dann ist da ja auch immer noch diese tickende Bombe…
BLINDGÄNGER hat mich bei der Weltpremiere beim letztjährigen Filmfest Hamburg total überrascht – das war so gar nicht das, was ich sonst von einem deutschen Film erwarte. Zuerst einmal überzeugt die sensationelle Optik des Films – endlich einmal kein tristes Grau in Grau, sondern eine Kameraführung und ein Colorgrading, die sich vor keiner internationalen Produktion verstecken müssen. Hier haben Katharina Bühler hinter der Kamera sowie Aurora Vögeli und Julia Wiedwald im Schnitt ganze Arbeit geleistet.
Doch auch das Drehbuch, das die Regisseurin Kerstin Polte verfasst hat, spricht für sich selbst. Poltes Figuren sind nicht bloß Abziehbilder oder Klischees, sondern besitzen ein echtes Innenleben. Vielleicht versucht der Film, ein wenig zu viele Fässer aufzumachen, doch es gelingt ihm, alle Geschichten so miteinander zu verweben, dass es alles andere als konstruiert wirkt. Genau das ist etwas, das ich in der jüngeren Filmgeschichte immer mehr vermisse.
Kerstin Polte konnte für ihren Film zudem auf eine eindrucksvolle Besetzung zurückgreifen: Anne Ratte-Polle („Es gilt das gesprochene Wort“, „Black Box“), Haley Louise Jones („Sad Jokes“), Claudia Michelsen („In einem Land, das es nicht mehr gibt“), Bernhard Schütz („Das schwarze Quadrat“, „Sabbatical“) oder Karl Markovics („Der Fuchs“, „Was man von hier aus sehen kann“) zeigen allesamt, dass sie zu den Top-Schauspieler:innen dieses Landes gehören.
Mit BLINDGÄNGER ist Kerstin Polte und ihrem Team ein starker Film gelungen, von dem sich manch andere Vertreter durchaus etwas abschauen sollten. Echte Emotionen, nahezu perfekt verwobene, starke Geschichten und ein Erscheinungsbild, das wir sonst nur aus Hollywood kennen – was will man als Zuschauer mehr. Also ab ins Kino!
Blindgänger (Deutschland 2024)
94 Minuten
Drama
Kerstin Polte
Kerstin Polte
Katharina Bühler
Anne Ratte-Polle, Haley Louise Jones, Bernhard Schütz, Claudia Michelsen, Daniel Sträßer, Karl Markovics, Lukas von Horbatschewsky, Barbara Nüsse, Ivar Wafaei, Thelma Buaben, Ramin Yazdani, Genet Zegay, Enrique Fiß, Bineta Hansen, Kübra Sekin, Jing Xiang, Anne Schäfer, Tamer Tahan, Kim Bormann, Freya Trampert
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