1975 spielte Keith Jarrett in Köln ein Jazz-Konzert, dessen Live-Aufnahme zum erfolgreichsten Solo-Jazz-Release aller Zeiten wurde. Regisseur Ido Fluk erzählt jetzt mit KÖLN 75 die mitreißende Hintergrundgeschichte dazu – mit einer überwältigenden Mala Emde in der Hauptrolle.
Ein normales, biederes Leben wie das ihres Zahnarzt-Vaters (Ulrich Tukur) und ihrer Mutter (Jördis Triebel) kam für Vera Brandes (Mala Emde) noch nie in Frage. Durch ihr selbstbewusstes Auftreten wird sie bereits mit 16 Jahren zur Konzert-Promoterin. Als sich zwei Jahre später die Gelegenheit ergibt, die Jazz-Legende Keith Jarrett (John Magaro) für ein Konzert in die Kölner Oper zu holen, setzt Vera alles aufs Spiel, um ihren Traum zu verwirklichen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Der Künstler ist eigenwillig und leidet an immensen Rückenschmerzen – da ist die Fahrt mit Manfred Eicher (Alexander Scheer) vom ECM-Plattenlabel im viel zu kleinen Tour-Wagen durch Europa natürlich wenig hilfreich. Doch nicht nur das: Auch der Direktor der Kölner Oper ist von der Idee wenig begeistert und verlangt erst einmal 10.000 DM Vorkasse. Aber wenn Vera sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, ist sie davon nur schwer abzubringen.
Ihre Vorstellung: Nur der Künstler allein am Bösendorfer-Flügel des Hauses – einem Imperial 290. Also rührt sie ordentlich die Werbetrommel und begegnet allen Hindernissen mit ihrem unbändigen Lebensmut. Als der Star endlich eintrifft, fehlt vom gewünschten Instrument jede Spur. Lediglich ein ungestimmter Stutzflügel steht auf der Bühne, bei dem die Hälfte der Tasten nicht anschlägt. Jetzt ist guter Rat teuer, doch wer Vera Brandes kennt, der weiß, dass sie sich selbst davon nicht abhalten lässt…
Vier Millionen Tonträger wurden von „The Köln Concert“ verkauft, noch heute ist das Album die meistverkaufte Jazz-Soloplatte und die meistverkaufte Klaviersoloaufnahme. Dass dieser Rekord selbst in 50 Jahren nicht gebrochen wurde, zeugt von der immensen Bedeutung dieses Konzerts vom Januar 1975. Umso erstaunlicher ist, dass sich sowohl Keith Jarrett als auch das Plattenlabel ECM längst von der Aufnahme distanziert haben, empfinden sie diese doch als zu minderwertig an. Das sehen Jazz-Fans offenbar anders.
Autor und Regisseur Ido Fluk hat aus der Geschichte nicht ein einfaches Drama gemacht, sondern sich in der Inszenierung beim Jazz bedient, wo ein Song niemals gleich klingt und man bei einem Konzert niemals weiß, wohin die Reise gehen wird. So lässt er seine Protagonisten beispielsweise immer wieder die vierte Wand durchbrechen, um sich direkt ans Publikum zu wenden. Wenn sich Mala Emde als Vera Brandes in einer der ersten Szenen als 18-jährige ausgibt, nur um dann in Richtung des Publikums eine 16 in die Luft zu malen, ist das pure Improvisation. Und wenn die Handlung zwischendurch für eine gewisse Zeit auf den Jazzkritiker Michael Watts (gespielt von Michael Chernus) übergeht, der den Zuschauern eine kurze Einführung in den Jazz gibt, dann merkt man, dass der Regisseur das Wesen dieses Musikstils nicht nur verstanden, sondern auch verinnerlicht hat. Chapeau!
Das Zentrum von KÖLN 75 ist und bleibt aber Mala Emde, die schon unzählige Mal beweisen konnte, wie talentiert sie ist. Man denke nur an „303“, „Und morgen die ganze Welt“ oder „Aus meiner Haut“, Hier setzt sie dem Ganzen aber noch mal eine Schippe drauf – so lebenslustig und herzlich hat man sie noch nie gesehen.
Eines ist schnell klar: KÖLN 75 ist kein Film über das legendäre Konzert oder über den Künstler Keith Jarrett. Nein, hier geht es ausschließlich um die Figur der Vera Brandes. Konsequenterweise zeigt der Film das eigentliche Konzert auch überhaupt nicht. Das mag auf den ersten Blick erstaunen, passt aber perfekt zum Film. Wer mehr hören will, kann sich ja schließlich im Anschluss die Platte besorgen – wenn sie nicht schon längst im Regal stehen sollte.
Das Gute an KÖLN 75 ist, dass man kein Jazz-Fan sein muss, um den Film zu lieben. Das geschieht dank der unbändigen Spielweise von Mala Emde und der eindrucksvollen Kameraarbeit von Jens Harant von ganz alleine. Es könnte jedoch sein, dass einen die Musik anstecken könnte. Obacht!
Ido Fluk ist mit KÖLN 75 nichts weniger als ein kleines Meisterwerk gelungen, das sich so wohlwollend von anderen Musikfilmen abhebt, dass man ihn problemlos immer wieder anschauen kann.
Köln 75 (Deutschland / Polen / Belgien 2024)
112 Minuten
Drama / Biographie / Musik
Ido Fluk
Ido Fluk
Jens Harant
Mala Emde, John Magaro, Michael Chernus, Alexander Scheer, Jördis Triebel, Ulrich Tukur, Susanne Wolff
Alamode Filmdistribution OHG