Der Film der Woche

303

19.07.2018

Jan (Anton Spieker) ist davon überzeugt, dass der Mensch von Natur aus egoistisch ist. Deswegen ist er auch nicht weiter überrascht, als ihn in Berlin seine Mitfahrgelegenheit versetzt. Jule (Mala Emde) hingegen glaubt, dass der Mensch im Kern empathisch und kooperativ ist, und bietet Jan einen Platz in ihrem „303“ Oldtimer-Wohnmobil an. Beide sind unterwegs Richtung Atlantik. Jan will nach Spanien, um seinen leiblichen Vater kennenzulernen, Jule zu ihrem Freund nach Portugal. Eigentlich soll es gemeinsam nur bis Köln gehen, doch mit jedem Kilometer eröffnet sich den Beiden etwas mehr von der Welt des Anderen. 

Macht der Kapitalismus den Menschen zum Neandertaler? Führt Monogamie ins Unglück und kann man sich aussuchen, in wen man sich verliebt? Die beiden durchqueren Frankreich und erreichen Spanien, ihre fesselnden Gespräche werden immer persönlicher. Und es fällt ihnen immer schwerer, sich nicht ineinander zu verlieben…

Kritik

„Am schönsten sind die drei Sekunden vor dem Kuss. Weil dann noch alles passieren kann.“ Mit 303 kommt ein Film in unsere Kinos, für den die Bezeichnung Meisterwerk noch pure Untertreibung wäre…

Der Regisseur Hans Weingartner, der auch das Drehbuch verfasst hat, bezeichnet 303 als „Anti-Tinder-Film“, denn statt einem schnellen Wisch-und-weg sehen wir hier die langsame und behutsame Annäherung zweier Seelen. Selten konnten wir im Kino dem Akt des Verlieben so intensiv folgen, wie in diesem Film. Hier ist der Weg das Ziel, passender könnte man ein Roadmovie gar nicht inszenieren.

Einem einzigen „Paar“ 145 Minuten bei alltäglichen Dingen zu folgen, und nicht eine Sekunde davon gelangweilt zu sein – dazu gehört schon eine ganze Menge filmisches Können. Und wenn man dabei überhaupt nicht merkt, wie die Zeit vergeht, dann ist man wohl Zeuge eine magischen Kinoerlebnisses geworden. Für mich zählt 303 zu den besten Filmen, die das deutsche Kino in den letzten Jahren hervorgebracht hat. 

Einen wesentlichen Beitrag leisten dabei die Dialoge der beiden Protagonisten. Sie unterhalten sich über tiefgreifende Dinge und obwohl sie in vielen Dingen gegensätzliche Standpunkte vertreten, hören sie einander zu und schätzen die Meinung des jeweils Anderen. Das ist ein Verhalten, das wir in unserer heutigen Zeit immer häufiger vergessen, bzw. ignorieren. Statt laut polternd die eigenen Ansichten zu verteidigen, öffnen sie sich beide auch der Möglichkeit, vielleicht falsch zu liegen. Solche Gespräche wünsche ich mir viel mehr – sowohl auf der Leinwand, als auch im echten Leben. 

Aber Mala Emde und Anton Spieker harmonieren auch wie kaum ein anderes Leinwandpaar. Ihr langsames Verlieben in Zeitlupe wirkt so echt, man könnte fast glauben, man befände sich in einer Dokumentation. Zu keinem Zeitpunkt möchte man die beiden anstupsen oder ihnen vorwerfen, einfach mal in die Gänge zu kommen. Nein, gerade diese Langsamkeit und das Schätzen des Gegenübers macht 303 so besonders. Ein Film der noch sehr lange nachhallt und von dem sich manche Filmemacher ein Stück abschneiden könnten. Aber wie steigert man den Begriff „Meisterwerk“? Vielleicht müsste man für 303 einfach ein neues Superlativ erfinden. Verdient hätte es dieser wunderbare Film… 

Trailer

ab12

Originaltitel

303 (Deutschland 2018)

Länge

145 Minuten

Genre

Drama

Regie

Hans Weingartner

Drehbuch

Hans Weingartner, Silke Eggert

Darsteller

Mala Emde, Anton Spieker

Verleih

Alamode Filmdistribution OHG

Filmwebsite

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