Der Film der Woche

Im Westen nichts Neues

29.09.2022

Der 1929 erschienene Roman „Im Westen nichts Neues“ des in Osnabrück geborenen Autors Erich Maria Remarque wurde bereits ein Jahr später in Hollywood unter dem Titel „All Quiet on the Western Front“ von Lewis Milestone grandios verfilmt: Der verdiente Erfolg: zwei Oscars! Nach einem US-TV-Film von 1979 ist IM WESTEN NICHTS NEUES von Edward Berger der erste rein deutsche Zugang zu diesem Stoff, der die Schrecken des Ersten Weltkriegs schonungslos offenlegt.

Die Begriffe „Anti-Kriegs-Roman“ und „Anti-Kriegs-Film“ sind schnell bei der Hand – doch diesmal stimmen sie. In Remarques Roman gehen die naiven, blutjungen deutschen Soldaten 1917/18 durch die Hölle – und nur die wenigsten überleben. Mit dem Geld von Netflix und renommierten deutschen Schauspielern hat Edward Berger jetzt ein atemberaubendes filmisches Kunstwerk geschaffen, das seinesgleichen sucht. Nach diesen 147 unglaublich peinvollen Minuten kommt wohl jeder völlig verstört aus dem Kinosaal. Der Weg zurück in die Gegenwart dauert diesmal etwas länger.

1917: Indem er die Unterschrift seines Vaters fälscht, landet der minderjährige Student Paul Bäumer (Felix Kammerer) bei der Musterung – und wenig später nach kurzer Grundausbildung an der Westfront in Frankreich. Hier in den Schützengräben wird ihm sofort jede Illusion genommen: Heldenhaft ist da nichts – es geht ums nackte Überleben. Neben ihm sterben die Kameraden, zerfetzte Körper gehören von nun an zu seinem Alltag. Granatenbeschuss, Gasangriffe – es gibt kein Entkommen. Er freundet sich sich mit dem etwas älteren Schuster „Kat“ (Albrecht Schuch) an, der ihm zeigt, wie man eine Gans von einem nahegelegenen Bauernhof klaut.

November 1918: Der Krieg schein fast vorbei zu sein, doch der liberale Verhandlungsführer Matthias Erzberger (Daniel Brühl), zögert die Unterschrift unter die Waffenstillstandsurkunde heraus. Und auch der bornierte General Friedrichs (Devid Striesow) will noch nicht aufgeben. Derweil sterben jeden Tag zigtausende Soldaten. Doch Paul und „Kat“ leben immer noch – bis auch sie einen völlig sinnlosen Tod sterben. „Kat“ wird beim erneuten Gänseklau vom Sohn des Bauern erschossen, Paul stirbt 15 (!) Minuten vor Beginn des Waffenstillstands.

Regisseur Edward Berger hat alles richtig gemacht. Die Millionen von Netflix sind gut angelegt, dramaturgisch und visuell ist der Film auf gleicher Höhe wie Hollywood. Da ist fast alles perfekt. Der Dreck, der Schlamm, das Blut und das unvorstellbare Grauen ist in jeder Sekunde fast körperlich spürbar. Kameramann James Friend hat das in erlesenen Tableaus kongenial eingefangen: Nebel im Wald im Gegenlicht, ein Sonnenuntergang hinter den Hügeln, Leuchtraketen über dem Schlachtfeld. Mein Einwand: Das ist alles eine Spur zu „schön“. Darf man das Grauen so inszenieren? Nun gut: Auch Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ ist ein filmisches Kunstwerk.

Felix Kammerer in der Hauptrolle als Paul Bäumer wirkt wie ein junger Matthias Schweighöfer – nur viel besser. Albrecht Schuch ist wie immer eine Nummer für sich – doch Devid Striesow übertreibt seine Rolle als engstirniger General mit Kaiser-Wilhelm-Bart, der den Krieg immer noch gewinnen will: „Mein Vater hatte drei erfolgreiche Kriege hinter sich – und ich musste 50 Jahre Frieden ertragen.“ Das ist doch sehr plakativ!

IM WESTEN NICHTS NEUES sollte man auf der großen Leinwand erleben, ehe der Film ab 28. Oktober im Heimkino bei Netflix zu sehen ist. Und die Musik von Volker Bertelmann („Hauschka“) ist schlichtweg sensationell.

Trailer

ab16

Originaltitel

Im Westen nichts Neues / All Quiet on the Western Front (Deutschland 2022)

Länge

148 Minuten

Genre

Drama / Historie / Kriegsfilm

Regie

Edward Berger

Drehbuch

Edward Berger, Lesley Paterson, Ian Stokell, basierend auf dem Buch von Erich Maria Remarque

Darsteller

Felix Kammerer, Albrecht Schuch, Aaron Hilmer, Moritz Klaus, Edin Hasanovic, Adrian Grünewald, Thibault De Montalembert, Daniel Brühl, Devid Striesow

Verleih

Netflix

Veröffentlichung

Nach dem Kinostart am 29.09.2022 ist IM WESTEN NICHTS NEUES ab dem 28.10.2022 bei Netflix verfügbar

Filmwebsite

» zur Filmwebsite

Weitere Neustarts am 29.09.2022