Censor

29.07.2021

David Cronenberg hat es uns 1983 mit „Videodrome“ auf drastische Weise deutlich gemacht, wie VHS-Kassetten und Fernsehen sehr direkt und sehr brutal unser tägliches Leben beeinflussen können. Wir haben diese Ära zwar längst in Richtung DVD und Streaming-Dienst verlassen – doch der Horror bleibt. Die walisische Regisseurin Prano Bailey-Bond hat sich für ihren Debütfilm „Censor“ die wilden VHS-Jahre ausgesucht, wo in den Videotheken die blutigsten Filme heimlich unter dem Ladentisch verkauft und ausgeliehen wurden – und einen der ungewöhnlichsten Horror-Filme der jüngsten Zeit gedreht. 

1985: Maggie Thatcher regiert ihr Land mit eiserner Hand. Enid Baines (Niamh Algar) arbeitet als Filmzensorin in einer britischen Behörde. Gemeinsam mit ihren Kollegen muss sie sich täglich die grässlichsten Filme ansehen und entscheiden, welche Szenen herausgeschnitten werden müssen und ob der Film überhaupt veröffentlicht werden darf. Sie führt notgedrungen ein zurückgezogenes Leben und lässt niemanden an sich heran. Sie hat ihr Kindheitstrauma noch immer nicht verarbeitet. Bei einem Waldspaziergang mit ihrer kleinen Schwester war diese plötzlich verschwunden und nie wieder aufgetaucht: weder lebend, noch als Leiche.

Enid steht kurz vor dem Rausschmiss, denn sie und ihr Kollege hatten einen Film ohne Auflagen durchgewinkt, der einem Mörder als Vorlage für seine Tat diente, was er freimütig nach seiner Festnahme zugibt. Enids Leben ist nur noch ein Scherbenhaufen – beruflich und seelisch.

Und dann muss sie einen Horror-Film begutachten, der scheinbar die Ereignisse von damals mit ihr und ihrer Schwester nachzustellen scheint: ein Drama in einem einsam gelegenen Wohnwagen mitten im dunklen Wald. Bald kann Enid Realität und VHS-Fiktion nicht mehr unterscheiden. Ihr Leben verschwindet zwischen den beiden Ebenen.

Die Regisseurin Prano Bailey-Bond hat diese unheimliche Verzahnung so perfekt inszeniert, dass wohl jedem Zuschauer der Boden unter dem Kinositz weggezogen wird. Das ist Horror pur! Und vor allem sehr intelligent! Bailey-Bond benutzt Ausschnitte alter VHS-Schocker, aber auch nachgedrehte Szenen auf VHS. Das gibt dem Ganzen einen besonderen ästhetischen Reiz. Die noch kaum bekannte irische Hauptdarstellerin Niamh Algar – im neuen Guy-Ritchie-Film „Cash Truck“ ist sie mit dabei – spielt wunderbar unterkühlt und zurückhaltend; eine „Scream-Queen“ ist sie nicht.

Das extrem blutige Finale scheint mir etwas überzogen – doch danach gibt es zur Belohnung als Zugabe eine herrlich bunte „Blue Velvet“-Parodie. Ein lohnender Horror-Film der besonderen Art!

Trailer

ab16

Originaltitel

Censor (Großbritannien 2021)

Länge

84 Minuten

Genre

Horror / Thriller

Regie

Prano Bailey-Bond

Drehbuch

Prano Bailey-Bond, Anthony Fletcher

Darsteller

Niamh Algar, Nicholas Burns, Vincent Franklin, Sophia La Parta, Adrian Schiller, Michael Smiley

Verleih

Kinostar Filmverleih GmbH

Filmwebsite

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