The Retaliators

Mit elf Jahren im Hamburger „Savoy“ bei „Ben Hur“ die Liebe zum Kino entdeckt. Dann kam mit „Blow Up“ und „Belle de Jour“ der „Arthouse-Film“ dazu. Seit 1989 ständiger Filmjournalist für diverse Medien. Jetzt fühlt er sich hier bestens aufgehoben.

Nicht noch ein billig produzierter Horror-Thriller mit Schauspielern, von denen noch niemand etwas gehört hat! Das war mein erster Gedanke vor der Sichtung von THE RETALIATORS des Regie-Duos Bridget Smith und Samuel Gonzalez Jr. Doch welch eine Überraschung: Diese 97 Minuten sind ein echter Knaller – hier wird lustvoll und ironisch das blutige Genre hinterfragt. Wer sich in der Geschichte des Horror-Kinos einigermaßen auskennt, fühlt sich im Saal sofort zu Hause – als ob man bei einem spannenden Film-Quiz mitmachen würde…

Dabei ist die Entstehung von THE RETALIATORS (auf deutsch: „Die Vergelter“) mehr als makaber. Die Drehbuchautoren Darren und Jeff Geare, besser bekannt als „The Geare Brothers“, erzählen hier die wahre Geschichte ihrer jüngeren Schwester Jody, die im Jahr 2004 auf ihrem nächtlichen Heimweg von einem Unbekannten vergewaltigt wurde und nur knapp mit dem Leben davon kam. Erst zwölf Jahre später wurde der Täter aufgrund der DNA-Spuren gefasst und zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt. Das muss man nicht wissen – aber es gibt dem Ganzen eine zusätzliche brisante Note.

Auch die Produktion des Films war etwas ganz Besonderes. Drehbuchautoren und Regisseure fragten bei befreundeten Rockmusikern an, ob sie an einem Cameo-Auftritt interessiert seien. Und so erleben wir bekannte Gesichter aus der US-Metal-Szene – beispielsweise Tommy Lee, Papa Roach und Mitglieder der Gruppen „The Hu“, „Ice Nine Kills“, „Escape The Fate“ und „Five Finger Death Punch“. Für Freaks ein zusätzlicher Grund, ins Kino zu gehen…

Sarah (Katie Kelly) und ihre Highschool-Freundin entscheiden sich bei ihrer nächtlichen Heimfahrt für eine Abkürzung – obwohl eigentlich jeder weiß: In Horror-Filmen nimmt man keine Abkürzung! Beim unplanmäßigen Reifenwechsel in der Wildnis muss Sarah mit ansehen, wie ihre Freundin von einer finsteren Gestalt umgebracht wird. Sie selbst wird im letzten Moment von einem blutüberströmten Mann gerettet, ehe eine Horde von Bestien das Auto überfällt. Sein Kommentar: „Das sind keine Zombies!“ (Erst am Ende des Films wird dieses bizarre Rätsel gelöst.)

Zu Hause erwarten sie ihr alleinerziehender Vater John Bishop (Michael Lombardi), der Priester einer Provinz-Gemeinde im Nordosten der USA, und ihre jüngere Schwester. Bei einem ihrer nächsten nächtlichen Ausflüge im väterlichen Auto – Teenager sind halt unbelehrbar – gerät sie an der Tankstelle in einen Streit mit dem brutalen Glatzkopf Ram (Joseph Gatt), als sie aus dessen Kofferraum merkwürdige Geräusche hört. Der hatte soeben wegen diffuser Drogengeschichten einen Mann entführt. Sarah muss dieses Eingreifen bitter bereuen. Kurze Zeit später liegt ihr Auto in einer Schlucht – und sie ist tot. Die Polizei findet schnell heraus: Das war kein Unfall, Sarahs Hände waren mit Kabelbindern ans Lenkrad gefesselt.

Als die Polizei dem verzweifelten Vater nicht helfen kann, entwickelt sich John Bishop zum gnadenlosen (biblischen) Racheengel. Unterstützung findet er im der Gestalt des ehemaligen Polizisten Jed (Marc Menchaca), der bei seiner erzwungenen Entlassung aus dem Dienst vor zehn Jahre einen sehr persönlichen Rachefeldzug gestartet hatte. (Wer das argentinische, oscar-prämierte Meisterwerk „In ihren Augen“ oder das US-Remake „Vor ihren Augen“ (mit Julia Roberts) kennt, ahnt vielleicht schon Einiges.)

Der Rest ist eine unglaubliche Blutorgie, die ihresgleichen sucht. Visuell hat sich das Regie-Duo mit seinen düsteren, farbgesättigten Bildern offensichtlich an den Filmen von David Lynch orientiert – und besonders an seiner sensationellen TV-Serie „Twin Peaks“. Der geniale Schlenker am Schluss – ein klassisches Paradoxon – scheint wie von Lynch erfunden zu sein. Doch ich verrate nichts!

„The Texas Chainsaw Massacre“, „Spurlos“, „X“, „Die Nacht der lebenden Toten“- die Liste der Vorbilder ist lang. Doch es macht Spaß, dabei zuzusehen. THE RETALIATORS wird jeden überraschen – auch Filmfans, die die auftretenden Metal-Rockmusiker nicht unbedingt kennen müssen.