Alle reden übers Wetter

Mit elf Jahren im Hamburger „Savoy“ bei „Ben Hur“ die Liebe zum Kino entdeckt. Dann kam mit „Blow Up“ und „Belle de Jour“ der „Arthouse-Film“ dazu. Seit 1989 ständiger Filmjournalist für diverse Medien. Jetzt fühlt er sich hier bestens aufgehoben.

Es klingt vielleicht eine Spur zu spöttisch, aber ALLE REDEN ÜBERS WETTER ist ein typischer, sehr deutscher Hochschul-Abschlussfilm. Seit 2011 studierte Annika Pinske an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) – dies ist das Ergebnis. Das Drehbuch von Pinske und ihrem Co-Autor Johannes Flachmeyer ist gespickt mit Gegensätzen: intellektuelles gegen einfaches Leben, Millionenstadt gegen ostdeutsche Provinz, Unabhängigkeit gegen Geborgenheit in der Familie, Karriere gegen Genügsamkeit, gezielte Lebensplanung gegen Resignation. Pinske und Flachmeyer lassen wahrlich nichts aus!

Enddreißigerin Clara (Anne Schäfer) hat es geschafft und sich von ihrer provinziellen Herkunft gelöst: Sie ist Dozentin für Philosophie an einer Berliner Uni, hat ständig Zoff mit ihrer Chefin Margot (Judith Hofmann) und schreibt an ihrer Doktorarbeit über Hegel (ausgerechnet!). Ihre 15-jährige Tochter Emma (Emma Frieda Brüggler) wächst bei deren Vater (eine Minirolle für Ronald Zehrfeld) auf, sie selbst schläft mit einem ihrer Studenten. Zum 60. Geburtstag ihrer Mutter Inge (Anne-Kathrin Gummich) fahren Clara und Emma in ihr Heimatdorf in Mecklenburg-Vorpommern – und der ganze Ort feiert mit. Beim Fest trifft Clara ihre alte Jugendliebe Marcel (Max Riemelt) wieder, der inzwischen die Dorfkneipe führt und im Kaff hängen geblieben ist.

Stilistisch wirkt der Film sehr uneinheitlich. Die Episoden an der Uni und in Claras WG sind doch sehr gestelzt inszeniert, dagegen findet Annika Pinske in den Provinz-Szenen auch visuell die richtige Mischung aus Nostalgie und Tristesse. Inge fühlt sich wohl in ihrem genügsamen Leben und lässt ihre Tochter spüren, dass diese inzwischen hier ein Fremdkörper ist. Ist das der Preis für Erfolg und Unabhängigkeit fern der Heimat?

Das gilt wohl für fast jeden Erstlings-Spielfilm: Auch Annika Pinske wollte zu viel. Deshalb ist das Resultat eher zweischneidig. Talent und Handwerk sind da, und die Gast-Auftritte bekannter Schauspieler machen Spaß – sogar Sandra Hüller („Toni Erdmann“) hat eine winzige Rolle.

Noch ein Wort zum Titel: Natürlich reden in der Provinz alle übers Wetter – nur in der Millionen-Metropole ist das kein Thema. Hegel ist eben wichtiger. Na ja!