Lieber Kurt

15.09.2022

Man mag es kaum glauben, aber mit LIEBER KURT ist Til Schweiger endlich mal wieder ein sehenswerter Film gelungen – wenn man sich auf gewisse Dinge einlassen kann…

Kurt (Til Schweiger) und seine Freundin Lena (Franziska Machens) ziehen aus Berlin in ein wunderschön gelegenes, aber arg renovierungsbedürftiges Haus in Brandenburg, um seinem sechsjährigen Sohn, dem kleinen Kurt (Levi Wolter) und seiner Ex-Frau Jana (Jasmin Gerat) näher sein zu können. Das idyllische Leben wird jedoch plötzlich aus seinen Fugen gerissen, als der kleine Kurt bei einem Unfall ums Leben kommt. Zurück bleiben drei Erwachsene, die nicht wissen, wie sie mit ihrer Trauer umgehen sollen und wie das Leben jetzt mit diesem tragischen Verlust überhaupt weitergehen soll. Während sich der große Kurt immer mehr zurückzieht und das Ganze fast nur mit sich selbst ausmacht, versucht Lena ihm anfangs noch eine Stütze zu sein. Dass sie dabei ihre eigene Trauer verdrängt, ist natürlich nicht sonderlich hilfreich. Und so versuchen die drei – jeder auf seine eigene Art und Weise – mit dieser Situation umzugehen.

Die Beziehung zwischen uns Filmkritikern und Til Schweiger ist eine ganz eigene Geschichte. Da der Filmemacher und Schauspieler mit Kritik anscheinend nicht wirklich umgehen kann, werden seine Filme seit einer gefühlten Ewigkeit der Presse vorab gar nicht mehr gezeigt. Dass es dann auf unserer Seite auch mal die eine oder andere gekränkte Eitelkeit gibt, die dann aufgrund der Situation mit einer negativen Einstellung in die Filmsichtung geht, ist zwar gewissermaßen verständlich, sollte aber eigentlich auf professioneller Ebene nicht geschehen. Mir persönlich haben einige seiner ersten Werke wie „Barfuß“ oder „Keinohrhasen“ durchaus gefallen. Danach wurden mir seine Filme aber irgendwie ein wenig zu seicht und wirkten auf mich eher wie eine Mischung aus aufgeblasenen Musikvideos und bewegten Einrichtungskatalogen. Zugegebenermaßen habe ich aber auch nicht alle davon gesehen.

Nachdem ihm sein langjähriger Partner Warner Bros. nach einigen Flops die Freundschaft gekündigt hat, erscheint LIEBER KURT jetzt beim kleinen, aber ansonsten recht feinen Filmwelt Verleih. Daran, dass der Film der Presse vorenthalten wird, hat sich zwar nichts geändert, allerdings wurde der Film im Rahmen des sogenannten „Kinofests 2022“ am Wochenende vor dem Kinostart in etlichen Lichtspielhäusern Deutschlands gezeigt, gefolgt von einem live übertragenen Q&A im Anschluss. Diese Gelegenheit haben wir hier in der Redaktion genutzt, um uns mal wieder in Sachen Til Schweiger auf den neuesten Stand zu bringen.

Und ja, die Überraschung war groß. Es sieht durchaus so aus, als sei Schweiger wieder auf Kurs. Die Geschichte, die er erzählt, ist stimmig inszeniert und überzeugt. Selbst seine schauspielerischen Qualitäten befinden sich auf einem guten Level, sind stellenweise sogar beeindruckend. Natürlich gibt es immer wieder Sonnenuntergänge und Zeitlupenshots mit Gegenlicht zu sehen, aber immerhin setzt er dieses Stilmittel nicht mehr im Überfluss ein.

Vor der Sichtung des Films stellte sich mir die Frage, ob ein Film mit diesem Thema tatsächlich stolze 136 Minuten Lauflänge braucht. Im Nachhinein glaube ich zwar, dass man hier und dort ein wenig hätte kürzen können, das aber eher im homöopathischen Bereich. Um die verschiedenen Arten von Trauer darstellen zu können, benötigt man nun einmal eine gewisse Zeit.

Eine echte Entdeckung von LIEBER KURT ist aber Franziska Machens, die hier ihre erste große Hauptrolle spielt. Schweiger war schon immer dafür bekannt, auch abseits des großen Filmzirkus zu casten, aber mit Machens ist ihm ein wahrer Glücksgriff gelungen. Selten hat man auf der Leinwand eine solch entwaffnende und in sich ruhende Darstellung gesehen. Mit ihrer geerdeten und unfassbar natürlichen Darbietung trägt sie den Film beinahe komplett alleine auf ihren Schultern. Was sie in einigen Szenen allein durch Blicke und Gesten zum Ausdruck bringt, ist wirklich unglaublich. Warum hat man diese tolle Frau nicht schon viel öfter in Hauptrollen besetzt?

Aber auch Levi Wolter als kleiner Kurt ist eine Wucht. Zwar klingen manche Dialoge immer noch ein wenig wie auswendig gelernt, aber man kann mehr als deutlich erkennen, dass der Kleine mit Herz und Seele bei der Sache ist.

Wer bei LIEBER KURT übrigens genau hinschaut, der kann vielleicht so einiges (wieder) entdecken. Das Haus beispielsweise, in das die beiden Protagonisten ziehen, ist dasselbe, in dem Schweiger bereits Keinohrhasen und Zweiohrküken gedreht hat. Auch in Sachen Selbstironie hat Schweiger dazugelernt, wie man in zwei Szenen lachend erfahren darf.

Mit LIEBER KURT ist Schweiger tatsächlich ein überraschend guter Film gelungen. Bleibt nur zu hoffen, dass er irgendwann auch seine Kritiker-Phobie überwindet…

Trailer

ab12

Originaltitel

Lieber Kurt (Deutschland 2022)

Länge

136 Minuten

Genre

Komödie / Drama

Regie

Til Schweiger

Drehbuch

Vanessa Walder, Til Schweiger, nach dem Bestseller-Roman „Kurt“ von Sarah Kuttner

Darsteller

Til Schweiger, Franziska Machens, Levi Wolter, Jasmin Gerat, Heiner Lauterbach, Marie Burchard, Peter Simonischek

Filmwebsite

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