Reality

Gleich mit ihrem Langfilm-Regiedebut REALITY sorgte die Regisseurin und Drehbuchautorin Tina Satter für Aufsehen. Akribisch arbeitet sie anhand eines Audio-Mitschnitts des FBI die Hausdurchsuchung der Whistleblowerin Reality Leigh Winner ab, der vorgeworfen wird, geheime Regierungsinformationen über die Einmischung Russlands in die US-Wahlen 2016 geleakt zu haben.

Das Social-Media-Profil einer jungen Frau zeigt Bilder ihrer Haustiere, ihre Freund, sowie Einblicke in ihr Sportprogramm. Am 2. Juni 2017 enden diese Posts jedoch unvermittelt. Einen Tag später setzt die Handlung dieses Films ein. Als die junge Yoga-Lehrerin, Veteranin und Mitarbeiterin einer US-Behörde Reality Leigh Winner (Sydney Sweeney) mit ihren Einkäufen nach Hause kommt, wird sie von zwei Männern (Josh Hamilton, Marchánt Davis) empfangen. die beiden FBI-Agenten eröffnen ihr, dass man einen Durchsuchungsbefehl für ihr Haus und ihr Auto habe und dankbar wäre, wenn sie sich kooperativ verhalten würde. Was folgt, ist ein perfides Kammerspiel, das sich auf das Verhör der ersten Whistleblowerin der Trump-Ära, sowie die Durchsuchung ihres Hauses fokussiert.

Im Herbst 2021 feierte Tina Satter mit ihrem Broadway-Stück „Is This A Room“ Premiere. Mit REALITY hat sie dieses jetzt für die große Leinwand umgesetzt und damit ein eindrucksvolles Debut als Regisseurin vorgelegt. 1:1 hangelt sie sich am Audio-Protokoll des FBI entlang und zeigt die absurde Situation, die sich an diesem Tag in Georgia abgespielt hat. Wer sich vor Sichtung des Films noch nicht mit der Geschichte der Reality Winner auseinandergesetzt hat, der fragt sich zu Beginn, wie die junge Frau so ruhig bleiben kann. Sydney Sweeney spielt die Hauptfigur mit einer unfassbar stillen Präsenz, zeigt aber durch Blicke und Gesten, wie es in ihrem Inntern aussieht.

Geschickt interpretiert die Regisseurin aber auch die geschwärzten Stellen des Audio-Protokoll, welches sie zudem immer wieder in die Handlung einbindet. Am Ende fällt dann besonders auf, dass Reality Winner niemals ihre Rechte vorgelesen wurden. Das kam auch später bei der Gerichtsverhandlung heraus. Zudem sprechen die FBI-Beamten immer wieder davon, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu haben. Aber selbst trotz der immer wieder an sie gerichteten Fragen, ob sie ihn auch sehen wolle, wird er ihr erst sehr spät ausgehändigt. Ein absoluter Skandal.

Ob man ihr Handeln nun gutheißen oder verurteilen möge, während der Sichtung des Films kommt man als Zuschauer nicht umhin, Sympathien für die junge Frau zu entwickeln. Denn eines wird klar: Sie tat es nicht, um in irgendeiner Form berühmt zu werden – sie tat es ausschließlich aus Gewissensgründen.

2018 wurde Winner übrigens zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, nachdem sie sich als schuldig bekannt hatte. Im Juni 2021 wurde sie wegen guter Führung vorzeitig entlassen, muss aber noch bis November 2024 eine elektronische Fußfessel tragen. Und das obwohl ein Whistleblower-Anwalt das von Winner geleakte Dokument zwar als geheim einstuft, es jedoch keine Enthüllungen über Betrug, Verschwendung oder Missbrauch enthält und ebenso wenig irgendwelche Informationen zu gesetzwidrigen Handlungen der US-Regierung.

REALITY ist ein mehr als eindrucksvoller Film, der den Zuschauer vollkommen in seinen Bann zieht. Mit einer solch kraftvollen, aber dennoch zurückhaltenden Inszenierung bleibt zu hoffen, dass der Film einen deutschen Verleih finden wird. Eine Chance, in unserer Kinolandschaft zu bestehen, hat er auf jeden Fall. Schließlich waren alle Kollegen, die den Film mit mir auf der Berlinale gesichtet haben, schwer begeistert. Ein gutes Zeichen, wie ich finde.

Im Rahmen der Berichterstattung
FSK noch unbekannt

Originaltitel

Reality (USA 2023)

Länge

83 Minuten

Genre

Drama

Regie

Tina Satter

Drehbuch

Tina Satter, James Paul Dallas

Darsteller

Sydney Sweeney, Josh Hamilton, Marchánt Davis, Benn Eledge, John Way

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