Schwanger und auf Drogen: Klingt nach einem typischen Sozialdrama. Doch VENA ist so viel mehr, dass sich ein Blick auf das Langfilm-Regiedebüt von Chiara Fleischhacker unfassbar lohnt…
Jenny (Emma Nova) erwartet ein Kind. Was bei anderen das größte Glück bedeutet, löst bei der jungen Frau ambivalente Gefühle aus. Denn Jenny ist immer wieder mit der Justiz und dem Jugendamt aneinandergeraten – nun droht zu allem Ungemach auch noch eine Haftstrafe. Als wäre das allein noch nicht genug, steht auch die Beziehung mit ihrem Freund Bolle (Paul Wollin) unter keinem guten Stern. Klar, er liebt sie abgöttisch und schenkt ihr immer wieder mal einen Auszeit-Tag, wenn alles um sie herum zu viel wird. Doch beide kämpfen auch gegen ihre Drogensucht an. Als ihnen die Hebamme Marla (Friederike Becht) zugewiesen wird, weist Jenny sie erst einmal barsch ab. Doch dann erkennt Jenny, dass Marla sie wider Erwarten nicht verurteilt, sondern als den Menschen sieht, der sie wirklich ist. Langsam baut Jenny ein gewisses Vertrauen auf und versetzt sich so in die Lage, sich ihren Ängsten zu stellen und zum ersten Mal Verantwortung für ihr Leben und das ihres ungeborenen Kindes zu übernehmen.
Ich muss ehrlicherweise zugeben: Beim ersten Lesen der Synopsis dachte ich, dass uns hier wieder mal ein typisches Drama aus dem Drogenmillieu vorgelegt wird, wie wir es schon etliche Male auf der Leinwand gesehen haben. Zum Glück versuche ich aber trotzdem immer wieder, möglichst unvoreingenommen in einen Film zu gehen. Doch wer hätte gedacht, dass sich VENA als eines der besten deutschsprachigen Dramen seit Jahren entpuppt.
Vor knapp zwei Jahren startete die Drehbuchautorin und Regisseurin Chiara Fleischhacker einen Aufruf bei Instagram. Darin suchte sie nach einer Frau, die sich bereit erklärt, ihre Geburt filmen zu lassen, aber auch nach generellen Klischees über Geburten im Film. Denn dass Frisur und Makeup direkt nach der Entbindung wieder perfekt sitzen, das Baby direkt nach den ersten Wehen sofort da ist oder dass Frauen ausschließlich in Rückenlage gebären, entspricht nun mal so gar nicht der Realität. Damit wollte Fleischhacker aufräumen und tatsächlich zeigt sie das Wunder der Geburt ungeschönt und verdammt ehrlich. Wie wichtig ihr das war, hat sie mir im Interview (s.u.) erzählt.
Doch mit VENA gelingt ihr noch viel mehr: Fleischhacker zeigt uns einen sachlichen, schonungslosen Blick in die Welt der beiden Crystal-Meth-Abhängigen. Vor allem aber wertet sie nicht, sondern überlässt das dem Publikum. Dadurch baut man zu Jenny vielleicht keine Sympathie auf und heißt ihre Taten und ihren Lebensstil auch nicht unbedingt gut, der Film macht aber deutlich, dass man trotzdem eine gewisse Empathie empfinden kann. Selten hat ein Film so deutlich gezeigt, dass wir eigentlich für jeden Menschen ein Mitgefühl entwickeln können – und auch sollten.
Der Filmtitel VENA steht für die „Vena Umbilicalis“, die Nabelschnurvene, die den Fötus mit sauerstoffreichem Blut und Nährstoffen versorgt und somit die engste Verbindung zwischen einer Mutter und ihrem Kind darstellt. Ihr Blut kann das Kind sowohl nähren als ihm auch schaden. Die „Vena Umbilicalis“ ist ein Sinnbild für das menschliche Bedürfnis nach Bindung, das gute und schlechte Abhängigkeiten hervorbringen kann.
Bei der Entwicklung ihres ersten Langfilms als Regisseurin standen für Fleischhacker die Zeichen schon immer günstig. Bereits 2022 erhielt sie den renommierten Thomas-Strittmacher-Preis für das beste Drehbuch, im Oktober dieses Jahres folgt dann der First-Steps-Award für den „besten abendfüllenden Film“. Außerdem ging der Michael-Ballhaus-Preis für die beste Kamera an Lisa Jilg, die mit ihrer ruhigen, fast schon dokumentarischen Handkamera für wirklich starke Bilder sorgt. Im Fall von VENA kann man eindrucksvoll sehen, wie wichtig eine gute Kamera für einen Film ist. Beim Filmfest Hamburg, wo VENA am 1. Oktober 2024 seine Weltpremiere feierte, kam zudem noch der Produktionspreis für die beste deutsche Kinoproduktion dazu.
Aber ein Film steht und fällt auch mit seinen Darstellern. Wie wichtig dabei ein funktionierendes Zusammenspiel zwischen Regie und Schauspiel ist, kann man leider immer wieder auf der Leinwand beobachten. Man merkt der Jenny-Interpretation von Emma Nova deutlich an, dass sie sich vorab intensiv mit dem Drehbuch und dem Thema auseinandergesetzt hat. Wie diese Vorbereitung aussah, hat mir Emma Nova im Interview (s.u.) verraten.
VENA ist einer dieser Filme, bei denen man mehr als deutlich merkt, wie viel Recherche dem Ganzen vorausging. Sei es die bereits eingangs erwähnte Darstellung von Geburten oder das Thema Schwangerschaft und Gefängnis: Chiara Fleischhacker zeigt uns, dass alles Erzählte hier Hand und Fuß hat und nichts von der Wahrheit abweicht, damit es besser in die Dramaturgie passt. Es zahlt sich eben aus, wenn man (gerade junge) Filmemacher:innen machen lässt und ihnen möglichst wenig reinredet. Der deutsche Film kann so viel mehr als nur Betroffenheitskino und seichte Komödien.
Allerdings sollten wir aufpassen, dass wir unseren Nachwuchs nicht unendlich ausschlachten. In unserem Filmgespräch stellt Fleischhacker u.a. die Frage, wann die Unsitte angefangen hat, junge Filmemacher:innen mit viel zu wenig Budget auszustatten. Das führt gerade bei denjenigen zu einer Art Selbstausbeutung, die noch im Sinne des Films und nicht nach Marketing-Aspekten ihre Film drehen.
In der Tat ist es so, dass wir noch viel mehr von solchen Nachwuchstalenten brauchen, vor allem aber von Regisseurinnen, die uns die Welt aus weiblicher Sicht zeigen. Und ein erster Weg zur Unterstützung könnte der Gang ins Kino sein. Im Fall von VENA bekommt man zudem noch einen starken, nachhallenden Film geliefert. Mehr geht wirklich nicht.
Beim Filmfest Hamburg 2024 feierte das eindrucksvolle Drama VENA seine Weltpremiere. Ich durfte mit der Drehbuchautorin und Regisseurin Chiara Fleischhacker sowie der Hauptdarstellerin Emma Nova über den Film, seine Entstehung und die umfangreiche Recherche sprechen.
Vena (Deutschland 2024)
121 Minuten
Drama
Chiara Fleischhacker
Chiara Fleischhacker
Lisa Jilg
Emma Nova, Paul Wollin, Friederike Becht, Barbara Philipp, Edith Stehfest
Weltkino Filmverleih GmbH