The Secret Agent

06.11.2025

Ein Oppositioneller, auf den Auftragskiller angesetzt sind, ein kleiner Junge, der unbedingt Steven Spielbergs „Der weiße Hai“ sehen möchte, obwohl er dafür zu klein ist, ein abgebissenes Bein, das im Bauch eines toten Hais gefunden wird und ein mörderisches Körperteil auf Opfersuche – Versatzstücke des wohl ungewöhnlichsten Films dieses Jahres. Der Politthriller THE SECRET AGENT von Kleber Mendonça Filho wurde in Cannes mit dem Regie- und Darstellerpreis für Wagner Moura ausgezeichnet und als brasilianischer Oscar-Kandidat in der Kategorie Bester Internationaler Film nominiert. Und beim Filmfest Hamburg war Kleber Mendonça Filho persönlich anwesend.

Brasilien, 1977, auf dem Höhepunkt der Militärdiktatur: Während der ausgelassenen letzten Karnevalswoche kehrt der Technologieexperte und Witwer Marcelo (Wagner Moura), Mitte 40, aus São Paulo in die Küstenstadt Recife zurück, um seinen kleinen Sohn wiederzusehen, der bei seinem Großvater, einem Filmvorführer, aufwächst. Bei einem Tankstop bemerkt er, dass nur wenige Meter entfernt eine Leiche nur notdürftig von Pappe verdeckt wird. „Der Erschossene liegt hier schon eine Woche, die Polizei kümmert sich nicht“, sagt der Tankwart. Als sie dann doch eintrifft, interessiert sie sich vielmehr um den Fremden und schikaniert ihn bis aufs Blut.

Marcelo findet Zuflucht in einer Pension, dessen Wirtin sich um politische Flüchtlinge und Verfolgte kümmert. Und er findet schnell wieder Zugang zu seinem Sohn. Langfristig plant er, mit ihm und gefälschten Pässen das Land zu verlassen. In der Zwischenzeit arbeitet er unter falschem Namen in einem Einwohnermeldeamt, um mehr über die Vergangenheit seiner toten Mutter zu erfahren.

Derweil untersucht die korrupte Polizei das Bein, das im Bauch eines weißen Hais gefunden wurde. War der Mann, zu dem es gehört, womöglich ein ins Meer geworfener Regimegegner? Das war damals nicht nur in Argentinien ein beliebtes Mittel, Oppositionelle unauffällig loszuwerden. In der wohl bizarrsten Szene des Films macht sich – fingiert als Zeitungsente – das Bein selbstständig und mutiert zum Serienmörder im nächtlichen Sex-Park. (So was habt ihr noch nicht gesehen! „Angriff der Killertomaten“ ist nix dagegen!)

Als Marcelo erfährt, dass ein Killerkommando auf ihn angesetzt ist, erklärt er sich bereit, einer Journalistin ein längeres Interview über seine Vergangenheit zu geben. Und diese Kassette hören Jahrzehnte später zwei Studentinnen ab, um das Interview zu transkribieren – als wichtiges Dokument über das Leben während der Militärdiktatur. Cleverer kann man wohl zwei Zeitebenen nicht verbinden. Aber dann nähert sich der gedungene Killer dem Einwohnermeldeamt…

In den 158 Minuten arbeitet der Regisseur Kleber Mendonça Filho, der auch das Drehbuch schrieb, mit vielen Nebenschauplätzen und Handlungssträngen. Das verlangt ein konzentriertes Sehen. Trotzdem wird man das Gefühlt nicht los: Manches wirkt doch arg zerfahren und unübersichtlich. Doch als politisches Manifest ist THE SECRET AGENT unschlagbar. Ein langer, böser Film. Und der Look ist sensationell: In seinem körnigen, rauen Stil wirkt er, als wäre er wirklich 1977 gedreht worden.

P.S.: Für uns Mitteleuropäer gibt es einen kurzen Überraschungsauftritt: Udo Kier spielt einen Deutschen, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Brasilien gelandet und hängengeblieben ist.

Trailer

Im Rahmen der Berichterstattung
ab16

Originaltitel

The Secret Agent (Brasilien / Frankreich / Deutschland / Niederlande 2025)

Länge

161 Minuten

Genre

Drama / Kirimi

Regie

Kleber Mendonça Filho

Drehbuch

Kleber Mendonça Filho

Kamera / Bildgestaltung

Evgenia Alexandrova

Darsteller

Wagner Moura, Maria Fernanda Candido, Gabriel Leone, Udo Kier, Carlos Francisco, Alice Carvalho, Roberio Diogenes, Hermila Guedes, Igor De Araujo, Italo Martins, Laura Lufesi, Roney Villela, Isabél Zuaa, Tânia Maria

Verleih

Port au Prince Pictures GmbH

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