Was für ein ehrgeiziger Ansatz! Für ihr Spielfilmdebüt schwebte der Regisseurin Laura Laabs nichts Geringeres vor, als 100 Jahre deutsche Geschichte mittels einer vertrackten Erzählstruktur zu durchleuchten. Das klingt ambitioniert – und ist es auch. Doch das Ergebnis überzeugt: Die intellektuelle Provinzposse (was für ein Widerspruch!) ROTE STERNE ÜBERM FELD ist eine furiose Achterbahnfahrt und gleichzeitig kluge Gesellschaftskritik. Dabei zieht Laura Laabs stilistisch und visuell alle Register. Der Preis der Filmkritik beim „Filmfestival Max Ophüls Preis“ war der verdiente Lohn.
Die Politaktivistin Tine (Hannah Ehrlichmann) hisst mit ihrer Gruppe auf dem Dach des Deutschen Reichstags rote Fahnen – als Zeichen gegen die aktuelle Regierung. Sie muss nach dieser auch prominent in der Tagesschau gemeldeten Aktion untertauchen und versteckt sich in der ostdeutschen Provinz, wo sie aufgewachsen ist. So steht sie plötzlich vor der Tür ihres Vaters Uwe (Hermann Beyer), der auf einem heruntergekommenen Bauernhof in Bad Kleinen (Mecklenburg-Vorpommern) lebt.
Als direkt vor seinem Haus ein wohlkonserviertes Skelett aus dem Moor gezogen wird, gerät das ganze Dorf in Aufruhr. Stammt die Moorleiche aus grauer Vorzeit – oder ist der Tod vielleicht noch gar nicht so lange her? Denn plötzlich tauchen Gerüchte über verschwundene Personen der vergangenen 100 Jahre auf. Und diese Geschichten inszeniert die Regisseurin als ineinander verschränkte Rückblenden auf mehreren Zeitebenen – im Filmformat deutlich abgegrenzt.
Auf dem Dachboden findet Tine Feldpostbriefe aus dem Zweiten Weltkrieg, die an einen Rudi adressiert sind. Seine beiden Brüder schreiben ihm Erschütterndes von der Front, bis schließlich beide in Stalingrad fallen. In der Nacht vor seiner eigenen Einberufung verschwindet Rudi – anscheinend ins Moor. Ist hier eine Fahnenflucht schiefgelaufen?
In der Zeit der Wende waren Tines Eltern in eine obskure Besetzung der LPG Glücksstern verwickelt. Zusammen mit dem Leiter Willi (Andreas Döhler) stellten sie sich der Landnahme der Treuhand entgegen. Doch dann verschwand Willi in Nacht und Nebel. Wurde ein Unbequemer im Moor ruhiggestellt?
Und dann war da noch der berüchtigte GSG9-Einsatz gegen die RAF 1993 auf dem Bahnhof Bad Kleinen, bei dem der Terrorist Wolfgang Grams und ein Polizist ums Leben kamen. Angeblich gab es damals noch einen dritten Mann?
Die Kriegsepisode zeigt Laura Laabs in 4:3 und in Schwarzweiß, die LPG-Posse in farbgesättigtem Cinemascope, den GSG9-Einsatz mit Original-Tagesschau-Bildern. Und dann sind da noch die Videoaufnahmen im schmalen Format, auf denen Tine mit Schülern in ihrem Aushilfs-Filmkursus die Aktion auf dem Bahnhof als herrlich überdrehte Farce nachinszeniert.
Wie in jedem Regiedebüt hat natürlich auch Laura Laabs in ROTE STERNE ÜBERM FELD gelegentlich den Bogen überspannt – da wirkt manches allzu aufdringlich und leider auch prätentiös. Außerdem experimentiert sie gern mit den unterschiedlichsten Schrifttypen. Und zu guter Letzt setzt sie dem BND-Abhörexperten im Keller auch noch einen Hasenkopf auf („Donny Darko“!). Wer dann die Moorleiche nun wirklich ist, spielt am Ende keine Rolle mehr…
ROTE STERNE ÜBERM FELD erinnert in seiner Machart stark an „In die Sonne schauen“ von Mascha Schilinski – als dessen „Light Version“.
Rote Sterne überm Feld (Deutschland 2024)
139 Minuten
Krimi / Historie
Laura Laabs
Laura Laabs
Carlos Vasquez
Hannah Ehrlichmann, Hermann Beyer, Jule Böwe, Andreas Döhler, Camill Jammal, Jenny Schily, Uwe Preuss, Rainer Reiners, Matthi Faust
Farbfilm Verleih GmbH