Anhand des Hochzeitstages eine Paares zeigt Regisseur Jan Komasa über viele Jahre mehr als eindrucksvoll den Wandel der USA von der Demokratie zum faschistoiden Staat. Ein beeindruckender und zugleich beängstigender Film.
Es ist ihr 25. Hochzeitstag, den Ellen (Diane Lane), Professorin an der renommierten Georgetown University in Washington, D.C., und der Chefkoch Paul im Garten ihres großzügigen Hauses mit Freunden und Familie feiern. Darunter die vier Kinder der Familie: Die älteste, Anna (Madeline Brewer), ist eine erfolgreiche, queere Stand-up-Komikerin, Cynthia (Zoey Deutch), ist eine zielstrebige Umweltanwältin, der intelligente, aber schüchterne Josh (Dylan O’Brien) ist ein mäßig erfolgreicher Schriftsteller und schließlich die Teenagerin Birdie (Mckenna Grace), ein einfühlsamer, intelligenter Biologie-Nerd. Zum ersten Mal hat Josh seine neue Freundin Elizabeth (Phoebe Dynevor) dabei, die Ellen irgendwie bekannt vorkommt. Irgendwann wird klar, dass es sich bei Liz um eine ehemalige Studentin handelt, die damals durch Ellen wegen ihrer antidemokratischen Thesen von der Uni geflogen ist. Ellen wird das Gefühl nicht los, dass hinter ihrer Beziehung zu Josh mehr steckt als nur ein zufälliges Treffen.
Jetzt steht Liz kurz davor, mit ihrem Buch-Bestseller „The Change“ und der gleichnamigen Bewegung einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel einzuleiten, basierend auf einem Ein-Parteien-System, das angeblich für mehr Zusammenhalt sorgen soll. Hilflos muss Ellen mitansehen, wie Liz nicht nur ihre Familie immer mehr infiltriert, sondern die gesamte Nation. Doch niemand nimmt ihre Warnungen ernst, und so muss Ellen nicht nur um den Zusammenhalt ihrer Familie kämpfen, sondern für die Freiheit und Werte eines ganzen Landes…
Als der polnischstämmige Regisseur Jan Komasa mit dem Schreiben seines Drehbuchs begann, konnte er vermutlich gar nicht ahnen, wie schnell ihn die Wirklichkeit einholen würde. Wenn man in die Richtung der Vereinigten Staaten von Amerika blickt, dann kann man in Echtzeit mitverfolgen, wie Trump die Demokratie zu einem Staat mit faschistoiden Zügen umbaut. Aber auch wie hilflos die Opposition dem Ganzen gegenüber steht, ist ein mehr als erschreckendes Bild, bei dem man seine Einschätzung, es könnte gar nicht schlimmer kommen, jeden Tag aufs Neue überdenken muss. Kaum zu glauben, dass Komasa genau das bereits Jahre vorher zu Papier gebracht hat.
Komasa, dessen Film „Corpus Christi“ 2020 als Polens Beitrag für den besten nicht-englischsprachigen Film bei den Oscars eingereicht wurde, greift in THE CHANGE zu einem cleveren Trick: Anstatt die Ereignisse im Land zu zeigen, beschränkt er sich auf eine einzige Familie und zeigt, wie perfide sich rechtes Gedankengut in die Gesellschaft einschleichen kann – und das in Form des Eindringens der Initiatorin der Bewegung in diese auf den ersten Blick harmonische Familie. Denn obwohl man nahezu alle Familienmitglieder eher dem linken Spektrum zuordnen könnte, sind auch sie nicht davor gefeit, die Bedrohung zu erkennen oder auch nur richtig einzuordnen. Und so erleben wir immer im Abstand von ein oder zwei Jahren, wie sich die Familie und mit ihr auch das ganze Land entwickelt hat.
Alles was im Land um die Familie herum passiert, wird uns Zuschauern nur in Form von Berichterstattungen im Fernsehen gezeigt. Das Anwesen der Familie verlassen wir allerhöchstens bis auf die Straße vor der Tür, auf der wir den Wandel von Hochzeitstag zu Hochzeitstag erkennen können. Natürlich ist das dem Umstand geschuldet, dass der Film im irischen Dublin gedreht wurde, aber ehrlicherweise erhöht das die Geschichte sogar noch einmal auf eine eindrucksvolle Art und Weise.
Diane Lane, die die Geschichte in der Rolle als Liz zusammenhält, war als eine der ersten Darsteller:innen an Bord. Mit ihr war es daraufhin möglich, die Finanzierung auf die Beine zu stellen, wie Jan Komasa in einem Interview erzählt. Aber auch die restliche Besetzung kann sich sehen lassen: Kyle Chandler als liebender Vater, der lange Zeit lieber alles so belassen möchte, wie es ist, Zoey Deutch als Umweltanwältin, die in ihrer kränkelnden Beziehung überhaupt keinen Blick für alles außerhalb ihres Dunstkreises hat, Madeline Brewer, die als Anna mit inneren Dämonen zu kämpfen hat, und Mckenna Grace, die als Nesthäkchen zu ihren Geschwistern aufschaut, während sie dabei ist, ihren eigenen Weg zu finden. Doch Dylan O‘Brien als Josh liefert die eindrucksvollste Performance. Wie er als gescheiterter Autor trotz der Aufmunterungsversuche seiner Mutter unter dem Einfluss seiner neuen Freundin steht, ist atemberaubend. Ohne es jemals zur Sprache zu bringen, zeigt Komasa, wie empfänglich solche Menschen für Beeinflussung sind und wie viel sie aufzugeben bereits sind, um einmal in der ersten Reihe mitspielen zu dürfen.
Man könnte THE CHANGE, der im Original übrigens viel passender ANNIVERSARY, also „Jahrestag“ heißt, jetzt vorwerfen, er hätte besonders zum Ende hin etwas subtiler daherkommen können. Doch dem möchte ich widersprechen, denn zu diesem Zeitpunkt haben wir eine Phase der politischen Umgestaltung erreicht, die eben nicht mehr mit sanfter Beeinflussung daherkommt, sondern ihre wahre Fratze zeigt. Doch dann ist es zumeist schon zu spät.
THE CHANGE hat mich auch bei der zweiten Sichtung noch total umgehauen. Die Kraft, die der Film aus dem Weglassen typischer Bilder erzeugt, ist schlichtweg atemberaubend. Und vielleicht kann einen solch amerikanischen Film auch nur ein Europäer drehen, denn in den USA wäre das vor lauter Einschüchterung vermutlich bereits heute nicht mehr möglich. Und das sollte uns verdammt noch mal viel mehr beschäftigen, als es das aktuell tut…
Aniiversary (USA 2025)
112 Minuten
Thriller
Jan Komasa
Lori Rosene-Gambino
Jan Komasa, Lori Rosene-Gambino
Piotr Sobociński Jr.
Diane Lane, Kyle Chandler, Madeline Brewer, Zoey Deutch, Phoebe Dynevor, Mckenna Grace, Daryl Mccormack, Dylan O’Brien, Sky Yang, Selda Kaya
Tobis Film GmbH & Co. KG