Der Film der Woche

Springsteen: Deliver Me From Nowhere

23.10.2025

Wie entsteht Kunst? Was sind die Inspirationsquellen eines Musikers bei der Erschaffung eines späteren Meisterwerks? Was geht im Kopf eines Komponisten vor – mag er Mozart oder John Lennon heißen? Genau diese Fragen stellte sich der Regisseur Scott Cooper in SPRINGSTEEN: DELIVER ME FROM NOWHERE, einer cineastischen Sternstunde.

Dieser Film ist nur scheinbar ein Biopic über den „Boss“ Bruce Springsteen – er ist vielmehr eine Meditation über kreative Prozesse und über den langen Weg aus einer Depression. Also genau das Gegenteil eines strahlenden Porträts eines Rockstars. Wir lernen den Menschen hinter dem Musiker kennen – eine an sich zweifelnde Berühmtheit in einer Schaffens- und Sinnkrise. Das alles hat Scott Cooper in eine meisterliche Form gepackt, wobei er Kindheit und Erwachsensein raffiniert verzahnt.

Herbst 1981: Der 32-jährige Bruce (Jeremy Allen White, „Shameless“, „The Bear“) hat sich nach der zwölfmonatigen, strapaziösen „The River“-Tour mit seiner Begleitband in ein abgelegenes Haus in Colts Neck (New Jersey) zurückgezogen, um abzuschalten. Sein einziges Vergnügen ist es, mit der lokalen Band als Gastgitarrist zu jammen und Klassiker wie „Lucille“ zu grölen. Nach einem der Gigs stellt ihm ein ehemaliger Mitschüler seine Schwester Faye (Odessa Young) vor, die ihm schüchtern ihre Adresse gibt. Bahnt sich da was an?

Jon Landau (Jeremy Strong), Springsteens langjähriger Vertrauter und Manager, spürt die Columbia-Bosse der Plattenfirma im Nacken und drängt Bruce, neue Songs im Stile des „The River“-Albums zu schreiben und im Studio zu produzieren. Wie wäre es mit „Born in the USA“? Doch dieser hat anderes im Sinn. Gemeinsam mit seinem Tontechniker Mike Batlan (Paul Walter Hauser) will Bruce in seinem Schlafzimmer nur mit akustischer Gitarre, Mundharmonika und Glockenspiel intime, persönliche Songs kreieren – auf einem simplen Vierspurgerät. (Dass das funktioniert, hatte ihm zwölf Jahre zuvor ein anderer Rockstar vorgemacht, der auf seiner Farm in Schottland alle Instrumente selbst einspielte und dazu sang. Dieser Paul nannte sein Solodebütalbum „McCartney“.)

Als Bruce wie durch einen Zufall im Fernsehen Terrence Malicks Debütfilm „Badlands – Zerschossene Träume“ (1973) über ein von Martin Sheen und Sissy Spacek gespieltes Gangsterpärchen anschaut, setzen bei Bruce die Erinnerungen ein. Er recherchiert über den Serienmörder Charles Starkweather, der das Vorbild für Martin Sheens Rolle war – und verarbeitet alles zum Song „Nebraska“, der später dem fertigen Album den Namen geben wird.

Und dann sieht sich Bruce – wie in einer Epiphanie – als kleinen Jungen (Matthew Pellicano, Jr.), der von seiner Mutter Adele (Gaby Hoffmann) wieder mal losgeschickt wird, seinen Vater Doug (Stephen Graham) aus der Kneipe nach Hause zu locken. Sie selbst traut sich nicht, dem alkoholsüchtigen und gewaltbereiten Ehemann in diesem Moment zu nahe zu kommen. Diese Episoden inszeniert der Regisseur in schmucklosem Schwarzweiß – ein genialer Effekt!

Der kleine Bruce hatte ein ganz besonderes Schlüsselerlebnis: Er durfte mit seinem Vater ins Kino. Gezeigt wurde ausgerechnet „Die Nacht des Jägers“ („The Night of the Hunter“), einer der bösesten Filme der 1950er-Jahre und der einzige, bei dem Charles Laughton Regie geführt hatte. Was für eine bizarre Filmwahl! So ein Schocker prägt fürs Leben! Na, ja, bei dem Vater!

Zurück in den 80ern: Bruce und Faye kommen sich langsam näher, und er lernt auch ihre kleine Tochter kennen. Zu dritt machen sie einen Ausflug nach Atlantic City und fahren Karussell. Doch vor eine festen Bindung scheut Bruce zurück. Und dann sind alle zehn neuen Songs fertig und eingespielt…

Doch Columbia-Manager Al Teller (David Krumholtz) hat große Probleme mit dem Ergebnis: eine Folk-Platte mit nur drei Instrumenten? Er besteht auf einem echten Rock-Album im typischen Springsteen-Stil. „Nebraska“ kann warten. Und hier erweist sich Jon Landau als wahrer Freund und kämpft für den „neuen“ Bruce. „Nebraska“ erscheint im September 1982…

Bravourös meistert Jeremy Allen White die schwierige Rolle als Rockstar in der Krise und singt auch alle Songs selbst. Das klingt unglaublich authentisch. Jeremy Strong ist ein ebenbürtiger Partner an seiner Seite. Diese Freundschaft von Bruce und Jon prägt den ganzen Film. Regisseur Scott Cooper hatte den Mut, den ambivalenten Charakter des Sängers klar hervorzuheben. SPRINGSTEEN: DELIVER ME FROM NOWHERE ist kein Starvehikel, hier ist Bruce nicht unbedingt ein Sympathieträger. Hier wird ein Suchender, der in seiner Depression und in der düsteren Vergangenheit gefangen ist, mit allen Ecken und Kanten gezeigt. Nur die Musik hilft ihm aus dem Sumpf heraus!

Und in den letzten Minuten des Films gelingen Scott Cooper, der auch das Drehbuch nach der gleichnamigen Monografie des Musikjournalisten Warren Zane schrieb, magische Momente. Plötzlich überlappen sich die Zeitebenen: Der erwachsende Bruce taucht (in Schwarzweiß) im damaligen Elternhaus auf, und bei der langen Autofahrt nach Los Angeles begegnen ihm sein Vater und sein jüngeres Ich (in Farbe). Von diesem Zauber lebt das Kino!

Trailer

ab12

Originaltitel

Springsteen: Deliver Me From Nowhere (USA 2025)

Länge

120 Minuten

Genre

Biographie / Drama / Musik

Regie

Scott Cooper

Drehbuch

Scott Cooper

Kamera / Bildgestaltung

Masanobu Takayanagi

Darsteller

Jeremy Allen White, Jeremy Strong, Paul Walter Hauser, Stephen Graham, Odessa Young, Gaby Hoffman, Marc Maron, David Krumholtz

Verleih

Walt Disney Studios Motion Pictures Germany GmbH

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