Der Film der Woche

Kneecap

23.01.2025

Zwei Rapper, ein DJ, ein paar Drogen und der Kampf um die irische Sprache: Mit KNEECAP kommt einer der stärksten Filme des noch jungen Kinojahres in unsere Lichtspielhäuser. Warum man den irischen Oscar-Beitrag keinesfalls verpassen sollte…


Liam Óg (Liam Óg Ó Hannaidh) und Naoise (Naoise Ó Cairealláin) kennen sich schon seit dem Kindergarten, doch nach einer langen Partynacht in Belfast landet Liam im Polizeigewahrsam. Da er sich weigert, Englisch zu sprechen, rufen die Behörden den Irisch-Lehrer JJ (JJ Ó Dochartaigh) als Dolmetscher zur Hilfe. Er sorgt nicht nur für Liams Freilassung, es gelingt ihm auch, dessen Notizbuch heimlich an sich zu nehmen. Die darin enthaltenen Texte von Liam und Naoise über Drogen, Sex und den Widerstand gegen das britische Establishment sind so gut, dass er den beiden vorschlägt, das Ganze mit ein paar Beats zu unterlegen. Was in JJs kleiner Garage startet, wird schon bald zu einem landesweiten Phänomen. Und da Polizei, Politik und ein paar rechte Milizen das Ganze im Keim ersticken wollen, wird das Leben der drei zum Spießrutenlauf – und sie selbst zum politischen und rebellischen Symbol einer ganzen Generation…

Was für ein unfassbares Brett! KNEECAP überzeugt von der ersten bis zur letzten Minute auf so vielen Ebenen. Die Figuren, die Geschichte, die Umsetzung, die Kamera, der Sound, die Texte, die kleinen Gimmicks – man könnte diese Liste nahezu endlos fortsetzen. Doch fangen wir von vorne an: Die Band KNEECAP ist nämlich kein Fantasieprodukt, nein, die Band gibt es wirklich. 2019 hat Drehbuchautor und Regisseur Rich Peppiatt den aufstrebenden Newcomer-Act in einem Club in Belfast live gesehen und war total geflasht. Da standen doch tatsächlich zwei Rapper und ein DJ auf der Bühne und performten ihre Songs in der irischen Landessprache. Schnell sah er das Potenzial und wollte unbedingt einen Film über diese Musiker machen. Eine typische Doku war ihm dann aber doch zuwider, schließlich macht man so etwas eher bei Bands, die bereits eine Karriere auf dem Buckel haben und darauf zurückblicken. Warum also nicht mal etwas anderes wagen und die Geschichte als Spielfilm erzählen – mit der Originalbesetzung als Schauspieler. Klingt gut, war dann aber doch nicht so einfach. Einem Laien zu sagen „Spiel mal einfach Dich selbst“ funktioniert halt in den seltensten Fällen. Und so musste Peppiatt die drei erstmal in einen Schauspiel-Crashkurs schicken – was offensichtlich funktioniert hat.

KNEECAP ist rasant geschnitten, aber die Lyrics der Band sind noch um einiges schneller. Wie bringt man diese dann einem nicht Irisch sprechenden Publikum nahe? Natürlich hätte man Untertitel verwenden können, die wären dann aber so schnell durchgelaufen, dass sich niemand mehr auf die Bilder konzentrieren kann – und die sind eigentlich viel wichtiger, wie mir Peppiatt im Interview (s.u.) verraten hat. Also entschloss er sich, nur mit Bruchstücken der Lyrics zu arbeiten, aber auch mit kleinen Grafiken oder Symbolen. Ich war selbst überrascht, wie gut das hier funktioniert.

Ein Clou ist Peppiatt mit der Verpflichtung von Michael Fassbender gelungen, der Naoises Vater spielt und als tot geglaubter Widerstandskämpfer im Untergrund lebt. Auch wenn es nur eine kleine Nebenrolle ist, sorgte seine Zusage letztendlich für die Finanzierung des Films. Und ebenso nebenbei steuert er einen der wichtigsten Sätze des Films bei: „Jedes gesprochene Wort Irisch ist eine Kugel für die Freiheit Irlands.“ Wow, das sitzt.

Irish-Gälisch ist eine Sprache, die immer mehr in Vergessenheit geriet. Vor allem, weil sich die Unionistischen Politiker (Protestanten) im zum Vereinigten Königreich gehörendem Nord-Irland weigerten, ihr denselben Status zu geben wie Englisch. Daher war Peppiatt klar, dass die Sprache und ihre Bedeutung für die irische Identität ein zentraler Bestandteil des Films sein muss. Als großer Hip-Hop-Fan erkannte der Regisseur zudem gewisse Parallelen zu afroamerikanischen Rappern, die seinerzeit die englische Sprache neu erfanden, um ihre eigene städtische, unterdrückte soziale Realität widerzuspiegeln.

Auch Drogen spielen eine Rolle in KNEECAP und anfangs kam die Kritik auf, der Film würde diese verherrlichen. Dem widerspricht Peppiatt, schließlich seien die Drogen schlicht und einfach Teil des Lebens der drei Musiker, so wie die Tapete an der Wand. Nicht mehr und nicht weniger. Nicht jeder Film muss gleichzeitig auch den Zeigefinger erheben und eindringlich davor warnen – schließlich geht es in KNEECAP um ganz andere Dinge. Und wenn sich ein Film schon nicht an die gängigen Regeln hält, warum sollte er es bei diesem Thema tun…?

Die Band KNEECAP will anarchisch sein und Regeln brechen. Genau diese Zutaten nutzt Peppiatt kongenial in seinem Film, in dem er mit dem typischen Biopic-Genre bricht und die Geschichte so erzählt, wie man es nicht besser hätte machen können. Nicht umsonst hat KNEECAP bereits etliche Rekorde gebrochen: Nach seiner Premiere als erster irisch-sprachiger Film beim Sundance Film Festival hat der Film gerade erst sechs BAFTA-Nominierungen abgestaubt und ist damit der Debüt-Film mit den meisten Nominierungen überhaupt beim britischen Pendant zu den US-amerikanischen Academy Awards. Aber auch dort steht KNEECAP bereits auf der Oscar-Shortlist. Und in Irland kommt der Film gerade erneut in die Kinos. Der Siegeszug bleibt also ungebrochen.

KNEECAP ist einer dieser Filme, bei dem man aus dem Staunen gar nicht wieder rauskommt. Diese Energie ist so dermaßen ansteckend, dass eine einzige Sichtung gar nicht ausreichend ist. Also am besten sofort ins nächste Lieblingskino. Es lohnt sich.

Interview

Beim Filmfest Hamburg feierte der irische Film KNEECAP seine Deutschlandpremiere. Für mich einer der stärksten Filme des Festivals, daher habe ich mich immens gefreut, dass mir der Drehbuchautor und Regisseur Rich Peppiatt alle meine Fragen beantwortet hat.

Trailer

Im Rahmen der Berichterstattung
ab6

Originaltitel

Kneecap (Großbritannien / Irland 2024)

Länge

105 Minuten

Genre

Drama / Komödie / Biographie

Regie

Rich Peppiatt

Drehbuch

Rich Peppiatt

Darsteller

Naoise Ó Cairealláin, Liam Óg Ó Hannaidh, JJ Ó Dochartaigh, Josie Walker, Fionnuala Flaherty, Jessica Reynolds, Adam Best, Simone Kirby, Michael Fassbender

Verleih

Atlas Film GmbH

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