Masterclass Narzissmus: In ihrem Regiedebüt HOT MILK erzählt die britische Drehbuchautorin Rebecca Lenkiewicz („Ida“, „She Said“, „Der Salzpfad“) von einer toxischen Mutter-Tochter-Beziehung unter der sengenden Hitze Spaniens – in malerischen Bildern und mit einer weiblichen Sichtweise.
In der spanischen Küstenstadt Almería (gedreht wurde jedoch in Griechenland) möchte Mutter Rose (Fiona Shaw), die im Rollstuhl sitzt und deren Leiden eher mysteriös anmutet, den geheimnisvollen Heiler Gomez (Vincent Perez) konsultieren. Tochter Sofia ist Langzeitstudentin der Anthropologie. Verhaltensmuster sind dabei ihr Thema. Sofia ist durch die Krankheit ihrer Mutter von klein auf gefesselt an ihre Mutter, was in HOT MILK auch stark bebildert wird durch Sequenzen, in denen Sofia gefangen in einem Rollstuhl ins Wasser fällt.
Sofia kann ihrer Mutter einfach nichts recht machen, wird ständig von dieser schikaniert. Einmal passt ihr das Mineralwasser nicht. Dann wird ihre Tochter das Studium nie zu Ende bringen. Nicht nett, so etwas der Tochter vorzuwerfen, die ihr Leben pausiert, um bei der Mutter zu sein. Rose sagt: „Ich wache genauso über dich, wie du über mich. Das tun Mütter.“ Der verdeckte Narzissmus ihrer Mutter macht Sofia also arg zu schaffen. Bis die Milch überkocht (im übertragenen Sinne).
Regiedebütantin Rebecca Lenkiewicz verhandelt düstere Themen unter gleißender Sonne. Kameramann Christopher Blauvelt gab sie „Angst essen Seele auf“ von Rainer Werner Fassbinder als Referenz an die Hand, vor allem die intensive Bebilderung der Liebesbeziehung dort. Auch „Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen“ von Jean-Jacques Beineix lieferte einen sinnlichen Bilderrausch, der Lenkiewicz für HOT MILK wohl vorschwebte. An manchen Tagen war es 45 Grad heiß und es gab Waldbrände am griechischen Drehort Marathon (eine am Meer gelegene Arbeiterstadt).
Die deutsche Touristin Ingrid (Vicky Krieps) reitet einer Amazone gleich am Strand auf Sofia zu – die flirrende Hitze lässt diese Szene fast unwirklich erscheinen. Es entwickelt sich eine Liebesbeziehung, die Sofia einerseits etwas dem Einfluss der Mutter entzieht – und eine neue Freiheit andeutet. Andererseits hat auch Freigeist Ingrid etwas in der Vergangenheit verborgen, das die gemeinsame Zeit nicht völlig unbeschwert genießbar macht.
Rebecca Lenkiewicz, die auch das Drehbuch nach der Romanvorlage von Deborah Levy schrieb, erzählt in HOT MILK die Geschichte eher fragmentarisch als stringent, findet aber Bilder, die im Kopf haften bleiben: So sehen wir des öfteren Feuerquallen als Sinnbild für die schmerzhafte Fesselung an die Mutter. Sofia hat gleich mehrfach Kontakt mit diesen Meereswesen. Auch für die sexuell aufgeladenen Szenen zwischen Sofia und Ingrid findet Lenkiewicz starke Bilder jenseits von male gaze.
Das Spiel der französisch-britischen Schauspielerin Emma Mackey („Emily“, „Eiffel in Love“) ist mit einer Naturgewalt gleichzusetzen – fast archaisch, teils eruptiv füllt sie die Leinwand aus, kann aber auch mit nuancenreichem Spiel glänzen. Und Fiona Shaw („Mein linker Fuß“, „Undercover Blues – Ein absolut cooles Trio“), Theaterschauspielerin und Grande Dame des britischen Kinos, ist anzumerken, wie akribisch sie sich auf die im Rollstuhl sitzende, griesgrämige Frau vorbereitet hat.
Auch Rose hat natürlich ein Trauma erlitten, dem Sofia bei ihrem griechischstämmigen Vater, der mittlerweile in New York lebt, auf die Spur kommt. Und der Heiler Gomez versucht immer wieder, die Vergangenheit von Rose zu beleuchten, um einen Erkenntnisgewinn für die rätselhafte Krankheit zu erlangen. Schlussendlich eskaliert die Situation im Finale explosionsartig. Das bleibt im Kopf haften und regt zu Diskussionen an. HOT MILK lief im Wettbewerb der Berlinale 2025 und wurde dort gespalten aufgenommen.
Hot Milk (Großbritannien 2025)
93 Minuten
Drama
Rebecca Lenkiewicz
Rebecca Lenkiewicz
Christopher Blauvelt
Emma Mackey, Fiona Shaw, Patsy Ferran, Yann Gael, Vangelis Mourikis, Vincent Perez, Vicky Krieps
MUBI