Der Film der Woche

She Said

08.12.2022

Der Skandal um den Filmmogul Harvey Weinstein erschütterte 2017 Hollywood. Maria Schrader hat den beiden Journalistinnen der New York Times jetzt mit SHE SAID ein filmisches Denkmal gesetzt, das noch lange nachhallt.

Hollywoodmogul Harvey Weinstein war über Jahrzehnte eine der mächtigsten Figuren der Filmindustrie. Als Gewinner von sechs Oscars® für den besten Film und Produzent von Titeln wie „Sex, Lügen und Video“, „Pulp Fiction“ und „Good Will Hunting“ war Weinstein ein Mann, der mit seinem enormen Einfluss Karrieren in Schwung bringen – oder beenden – konnte. Seit Jahren hatte es bereits Gerüchte über das Fehlverhalten Weinsteins gegeben – er soll seinen Einfluss missbraucht haben, um Frauen zu belästigen und zu sexuellen Handlungen zu zwingen. Journalist*innen, die versucht hatten, die Wahrheit herauszufinden, waren auf zögerliche Zeugenaussagen und drastische Einschüchterungstaktiken Weinsteins gestoßen. Die Opfer hatten zu große Angst, um gegen Weinstein auszusagen, oder wurden durch Abfindungen und Stillschweigevereinbarungen zur Geheimhaltung gezwungen.

Auf diese Mauer des Schweigens stoßen auch Megan Twohey (Carey Mulligan) und Jodi Kantor (Zoe Kazan) bei ihren Recherchen. Allerdings lassen sich die beiden nicht so leicht unterkriegen. Erst ein Jahr zuvor hatten sie denjenigen Frauen eine Stimme gegeben, die Donald J. Trump beschuldigten, von ihm betatscht oder auf andere Weise sexuell belästigt worden zu sein. Akribisch und mit großem Einsatz decken sie ein Netzwerk aus Repression, Erpressung und Angst auf und bringen so einen der gefürchtetsten Männer der Traumfabrik zu Fall.

Nach ihrem großen Erfolg „Ich bin Dein Mensch“ war es nur eine Frage der Zeit, bis Hollywood an die Tür von Maria Schrader klopfen würde. Dass man ihr ausgerechnet eines der sensibelsten Themen der Traumfabrik in die Hand geben würde, hätte aber vermutlich niemand gedacht. Kein Skandal hatte die Filmwelt mehr erschüttert, als der Fall Weinstein. Und Maria Schrader liefert ab. SHE SAID ist so erschütternd wie authentisch und lässt uns als Zuschauer die absurden Machenschaften Weinsteins hautnah erleben. Mindestens genauso erschütternd ist jedoch die Kultur des Wegschauens, die seine Taten überhaupt erst ermöglichten.

Carey Mulligan und Zoe Kazan spielen die beiden Journalistinnen mit so viel Ehrfurcht, dass man ihre gesellschaftliche Verantwortung in jeder Sekunde des Films spüren kann. Wie sie langsam und mit unfassbarem Durchhaltevermögen diese Mauer des Schweigens durchbrechen, hat Schrader mehr als eindrucksvoll inszeniert. Auch ihre Entscheidung, Weinstein nur von hinten zu zeigen, zeugt von großem Respekt gegenüber seinen Opfern. Allein durch den Blick der beiden Protagonistinnen in Weinsteins Gesicht ist mehr gesagt, als anderweitig möglich gewesen wäre.

Maria Schrader interessiert sich aber nicht nur für die Geschichte, sondern auch für ihre Figuren. So thematisiert sie Megan Twoheys Kampf mit postnataler Depression nach der Geburt ihrer Tochter, ohne dass dies aufgesetzt wirkt. Sie lässt zudem die Frauen an ihren Recherchen reifen. Während Twohey zu Beginn des Films durch eine plumpe Anmache eines Barbesuchers die Fassung verliert, hält sie später den unangemessenen und offenkundig beleidigenden Drohungen Weinsteins Stand und zeigt Größe.

Der womöglich eindrucksvollste Part des Films ist aber ohne Zweifel die Mitwirkung von Ashley Judd, die im Film sich selbst spielt. Sie war einer der Grundpfeiler der von Twohey und Kantor veröffentlichten Recherchen und ihre Entscheidung, öffentlich über ihre Erlebnisse zu sprechen, trug dazu bei, dass viele andere Frauen Mut fassten und die Untersuchung unterstützten. Es muss eine unfassbare Genugtuung sein, schließlich hatte Weinstein durch seine Beziehungen jahrelang dafür gesorgt, dass Judd so gut wie keine Rollenangebote mehr bekam, nachdem sie sich gegen seine Übergriffe zur Wehr setzte.

Im Laufe des Films ist man als Zuschauer immer wieder schockiert, in welchem Umfang Weinstein seine Macht missbraucht hatte. So ist Schraders Film gleichzeitig auch eine Warnung an all diejenigen, die dieses überhaupt erst möglich gemacht haben. Alle, die trotz besseren Wissens die Ereignisse stillschweigend gebilligt haben, sollen wissen, dass sich so etwas niemals wiederholen darf. Niemals.

Interview

Im April 2018 habe ich die Schauspielerin Rosanna Arquette in Berlin zum Interview getroffen. In unserem Gespräch, dass im Rahmen des Kinostarts ihres Films „Das etruskische Lächelns“ stattfand, sprach sie auch über ihr ganz persönliches Erlebnis mit Harvey Weinstein. Auch wenn sie im Film von Maria Schrader keine Rolle spielt, hat mich ihre Aussage bereits damals vollkommen schockiert. Daher möchte ich das Interview an dieser Stelle noch einmal erwähnen.

Trailer

ab12

Originaltitel

She Said (USA 2022)

Länge

129 Minuten

Genre

Drama

Regie

Maria Schrader

Drehbuch

Rebecca Lenkiewicz, basierend auf den Recherchen der New York Times von Jodi Kantor, Megan Twohey und Rebecca Corbett und dem Buch „She Said“ von Jodi Kantor und Megan Twohey

Darsteller

Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson, Andre Braugher, Jennifer Ehle, Samantha Morton, Ashley Judd

Verleih

Universal Pictures International Germany GmbH

Filmwebsite

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