Emily

24.11.2022

Wenn es eine Regisseurin und Drehbuchautorin in ihrer Filmbiografie über eine berühmte Frau mit der Wahrheit nicht allzu ernst nimmt, sollten wir dies als Zuschauer zumindest spüren. Denn wer in EMILY von Frances O’Connor alles, was er sieht, für bare Münze hält, ist im Kino rettungslos verloren. Mancher reibt sich am Ende verstört die Augen: Das soll das Leben von Emily Brontë gewesen sein?

Der Ansatz ist natürlich mutig und vielversprechend: Warum soll ausgerechnet eine mit ihrem Vater und ihren zwei Schwestern einsam in einem von Hochmooren umgebenen Pfarrhaus in Yorkshire lebende Mittzwanzigerin mit ihrem einzigen (!) Buch den wohl radikalsten englischen Roman des 19. Jahrhunderts geschrieben haben? Was trieb eine junge Frau ohne literarischen Hintergrund dazu, dieses unglaubliche Buch zu veröffentlichen? Denn der Roman „Sturmhöhe“ ist längst Weltliteratur!

Emily (Emma Mackey) lebt mit ihren Schwestern Charlotte (Alexandra Dowling) und Anne (Amelia Gething) sowie ihrem Bruder Branwell (Fionn Whitehead) im Pfarrhaus ihres Vaters (Adrian Dunbar). Schon seit ihrer Kindheit haben die drei Mädchen Geschichten erfunden – jetzt arbeiten alle drei an ihrem ersten Roman. Charlotte schafft als erste den Absprung und wird Gouvernante in Brüssel. Emily beginnt ein heiße Affäre mit dem Vikar William Weightman (Oliver Jackson-Cohen) – wenn wir denn Frances O’Connor glauben dürfen. Der Film suggeriert, dass diese Person als Vorlage für die wichtigste Figur aus „Sturmhöhe“ herhalten musste: Heathcliff!

In seinen grandios schrillen Biopics über Tschaikowsky, Liszt und Mahler hatte der britische Regisseur Ken Russell in den 1970er-Jahren von Anfang an klar gemacht: Leute, nehmt hier bitte nichts ernst. Deshalb haben wir damals diese Filme geliebt. Wer kann sich im Ernst den „The Who“-Sänger Roger Daltrey als Franz Liszt vorstellen? Dieser bewusst provozierende Ansatz fehlt in EMILY völlig. In erlesenen, zugegeben wunderschönen Bildern zeigt uns Frances O’Connor das ereignisarme Leben in Yorkshire. Am Ende springt dabei ein Roman heraus. Und wir müssen das glauben…

Es gibt einen tollen französischen Film (1979) von André Téchiné über das Leben der drei Schwestern – mit Isabelle Adjani, Marie-France Pisier und Isabelle Huppert in den Hauptrollen. So etwas hätte ich mir auch hier gewünscht. Doch Charlotte und Anne kommen in EMILY kaum vor.

Ein gewagter Versuch, der mich leider nicht überzeugt hat.

Trailer

ab12

Originaltitel

Emily (Großbritannien 2022)

Länge

130 Minuten

Genre

Biographie / Historie

Regie

Frances O‘Connor

Drehbuch

Frances O‘Connor

Darsteller

Emma Mackey, Oliver Jackson-Cohen, Fionn Whitehead, Alexandra Dowling, Amelia Gething, Adrian Dunbar, Gemma Jones

Verleih

Wild Bunch Germany GmbH

Filmwebsite

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