Filme, die in Schottland spielen, haben bei mir per se schon mal einen Stein im Brett. Aber auf das, was die Schauspielerin Aylin Tezel mit ihrem Regiedebüt FALLING INTO PLACE abliefert, war ich nicht einmal ansatzweise vorbereitet…
Kira (Aylin Tezel) und Ian (Chris Fulton) lernen sich an einem Winterwochenende auf der malerischen Isle of Skye in Schottland kennen. Beide befinden sich auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit, aber auch vor ihrer eigenen Realität. Die 36 Stunden, die sie miteinander verbringen, sind getragen von Leichtigkeit und Spaß. Zwischen den beiden entsteht eine tiefe Verbundenheit, doch sie erkennen, dass sie für mehr noch nicht bereit sind. Also trennen sich ihre Wege wieder und beide kehren nach London zurück, ohne zu wissen, dass sie in derselben Stadt leben. Oftmals trennen sie nur wenige Meter, Minuten oder Zufälle voneinander, doch aufeinander treffen sie nie. Erst müssen sich die beiden ihren eigenen Dämonen stellen, bevor sie eine zweite Chance verdienen…
Als Schauspielerin habe ich Aylin Tezel schon immer wegen ihrer natürlichen Spielweise bewundert. „Am Himmel der Tag“ war 2012 einer der ersten Filme, die ich für diese Seite besprochen habe. Noch heute kann ich mich verdammt gut an das überwältigende Gefühl nach dem Verlassen der Pressevorführung im Hamburger Passage-Kino erinnern. Jetzt, elf Jahre später, sollte FALLING INTO PLACE für mich der schönste Film des Jahres werden.
Natürlich war ich sofort an Bord, als ich las, dass der Film zu großen Teilen auf der Isle of Skye in Schottland spielen würde – schließlich ist das Land schon seit vielen Jahren für mich zu einer Art Heimat fern von der Heimat geworden. Bereits seit 2015 berichte ich jährlich vom Edinburgh International Film Festival, aber nur die Location allein macht noch keinen guten Film aus.
Als ich FALLING INTO PLACE dann beim diesjährigen Filmfest Hamburg zu sehen bekam, war es um mich geschehen. Schon lange hatte mich kein Film mehr auf so vielen Ebenen erreicht. Es war fast so, als hätte jemand in mein Innerstes geschaut und daraus einen Film gemacht. Inzwischen habe ich den Film bereits drei Mal gesehen und kann immer noch nicht genug davon bekommen.
Die Idee zum Film ist Tezel vor einigen Jahren bei einem Spiel mit einer Freundin im Park in London entstanden. Seitdem ließ sie diese Idee nicht mehr los und so reiste sie zu Silvester nach Edinburgh und begann zu schreiben. Was als Wochenendtrip geplant war, verlängerte sich im Zwei-Tage-Rhythmus auf vier Wochen – zack war das Drehbuch fertig, wie sie mir im Interview verriet.
Drehbuch, Regie und Hauptrolle – an dieser Mehrfachbelastung sind schon viele andere gescheitert. Entweder, weil sie sich selbst zu viel zugetraut hatten, oder weil sie partout nichts abgeben konnten. Tezel meistert das mit Bravour und findet in jeder Sekunde der Films den richtigen Ton. Die Verbundenheit der beiden Figuren auf der Isle of Skye ist so greifbar, als würden sie ihr gesamtes Leben vor uns ausbreiten – und das obwohl ihre Gespräche gar nicht so sehr in die Tiefe gehen. Von ihrem Problemen erfahren wir so gut wie nichts in dieser Zeit, lediglich Andeutungen durchbrechen die malerische Landschaft der Insel. Als Zuschauer fühlte ich mich trotzdem zu jedem Zeitpunkt gut aufgehoben und habe niemals das Auslassen genauerer Erklärungen in Frage gestellt. Irgendwie war mir immer klar, dass die Regisseurin mir das mit Sicherheit zu einem späteren Zeitpunkt erklären würde – oder das es schlichtweg nicht wichtig war. Im ausführlichen Interview beim Filmfest Hamburg hat mir Aylin Tezel auch den Grund dafür genannt: Oftmals sind es Dinge, die Ian oder Kira für sich selbst noch nicht wirklich erfasst haben.
Für den Soundtrack hat Aylin Tezel mit Jon Hopkins und Ben Lukas Boysen zusammengearbeitet, und gemeinsam haben sie Songs gefunden, die so perfekt auf die eigenen Szenen passen, dass man glauben würde, sie wären extra dafür geschrieben worden. Dass Tezel später auch all diese Songs verwenden durfte, grenzt fast an ein Wunder. Besonders habe ich mich über den Einsatz von „(I Just) Died in Your Arms“ von der Band „Cutting Crew“ gefreut. Schließlich gab es vor der Pandemie beim Edinburgh International Film Festival im Industry Program immer eine Karaoke Night – und das war oftmals mein Go-To-Song.
Wenn FALLING INTO PLACE irgendwann auf sein Ende zusteuert, ist nicht so ganz klar, ob es ein Happy-End geben wird oder nicht. Aber auch hier gelingt es Aylin Tezel, den Film weder kitschig noch konventionell werden zu lassen. Besser hätte man es nicht machen können.
Ich werde mir diesen wunderbaren Film sicher noch viele Male anschauen. Und ich freue mich umso mehr auf das, was Aylin Tezel in Zukunft noch auf die Leinwände bringen wird. Diesen Film noch zu toppen wird zwar verdammt schwierig, aber ich bin mir sicher, dass ihr auch das gelingen wird. Chapeau!
Es freut mich immer, wenn ich nach einem solch starken Film auch noch die Gelegenheit habe, mit den Macher:innen darüber zu sprechen. Mit Aylin Tezel durfte ich mich beim Filmfest Hamburg ausführlich über die Entstehung des Films, die Musik, die Bildgestaltung und vieles mehr unterhalten.
Falling Into Place (Deutschland / Großbritannien 2023)
113 Minuten
Drama
Aylin Tezel
Aylin Tezel
Aylin Tezel, Chris Fulton, Alexandra Dowling, Rory Fleck Byrne, Samuel Anderson, Anna Russel-Martin, Kathryn Howden, Michael Carter, Layo-Christina Akinlude, Juliet Cowan, Olwen Fouéré, Mike Noble
Port au Prince Pictures GmbH