Eigentlich wollte Michel Hazanavicius nie einen Film über den Holocaust drehen, doch der gleichnamige Bestseller von Jean-Claude Grumberg stimmte ihn letztlich um, und so entstand mit DAS KOSTBARSTE ALLER GÜTER ein zutiefst menschliches Meisterwerk.
Einsam und verlassen lebt ein armes Holzfäller-Ehepaar in den Wäldern Polens. Es ist tiefster Winter im Jahre 1943, und ihr Dasein ist geprägt von Kälte, Hunger und Krieg. Eines Tages findet die Holzfällerfrau ein kleines Kind, das aus einem vorbeifahrenden Zug geworfen wurde. Erst langsam wird ihr bewusst, dass es sich um ein jüdisches Kind handelt und der Zug die Insassen ins nahegelegene Konzentrationslager Auschwitz bringt. Ihr Mann will von dem Kind erst einmal nichts wissen, schließlich kann er es sich nicht leisten, noch ein weitere Maul zu stopfen. Doch seine Gründe liegen viel tiefer, denn wer ein jüdisches Kind versteckt, wird von der deutschen Besatzung mit dem Tod bestraft. Doch da er seine Frau liebt, fasst er langsam Vertrauen zu dem Kind und ist mehr als überrascht, dass es einen Puls hat. Entsprechen all die Geschichten, dass Juden kein Herz haben, vielleicht doch nicht der Wahrheit? Dieses Kind – das kostbarste aller Güter – verändert nicht nur das Leben dieser beiden Menschen, sondern all jener, deren Wege es kreuzt…
Dass Filme wie DAS KOSTBARSTE ALLER GÜTER die traumatischen Erinnerungen an die Gräueltaten der Nazis aufrechterhalten, ist gerade in der heutigen Zeit wichtiger denn je. Das hat offenbar auch Michel Hazanavicius erkannt, den man sonst eher aus dem komödiantischen Genre kennt. Ob „The Artist“ oder die Agenten-Persiflagen „OSS 117“ – mit den ernsten Dingen kam der französische Regisseur bislang eher weniger in Berührung. Bis er den Roman von Jean-Claude Grumberg las, noch bevor dieser überhaupt zum Bestseller wurde. Denn Grumberg ist der beste Freund seiner Eltern, und sie kennen sich bereits seit dem 16. Lebensjahr. In Hazanavicius‘ Leben ist der Autor daher seit jeher präsent, und er weiß um seine Sensibilität, seine Traumata und seinen Humor. Und als Regisseur sucht man eh immer nach einer Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden, wie Hazanavicius sagt.
Der Zeichenstil von DAS KOSTBARSTE ALLER GÜTER ist zudem ein ganz besonderer: In überwiegend verwaschenen Grautönen und mit groben, dicken Konturen erzählt Hazanavicius seine Geschichte, die erstaunlich gut mit den Bildern harmoniert. Trotz stark reduzierter Mimik spüren wir als Zuschauer jede kleinste Regung der Protagonisten, was mich persönlich anfangs sehr überrascht hat. Grumberg und Hazanavicius, die auch gemeinsam das Drehbuch geschrieben haben, zeigen mit ihrem Film, dass es inmitten dieser grausamen Zeit auch schöne Momente gab. Eine zeitlose Botschaft, die auch heute noch immens wichtig ist. Die Entscheidung, aus der Geschichte einen Animationsfilm zu machen, trägt dazu bei, dass es nicht zu hart wird. Durch diese Herangehensweise wird eine gewisse Distanz geschaffen, die den Film erträglicher macht.
Für den Soundtrack konnte Hazanavicius den Komponisten Alexandre Desplat gewinnen. Dieser unterstützt die Szenen des Films mit seiner Musik, ohne sich dabei zu sehr in den Vordergrund zu spielen. Vielleicht hätte er sich an der einen oder anderen Stelle noch ein wenig mehr zurücknehmen können, aber das sind lediglich Nuancen.
Mit DAS KOSTBARSTE ALLER GÜTER ist Michel Hazanavicius ein humanistischer Film par excellence gelungen, der die Grausamkeiten von Auschwitz bis auf wenige Ausnahmen nicht explizit zeigt, sie aber durch Erzählungen so greifbar macht, dass man sich ihnen nicht entziehen kann. Und wir alle wissen, wie wichtig das in der heutigen Zeit ist. Ich verneige mich vor diesem Film.
Beim Filmfest Hamburg hatte ich die Gelegenheit, mit Michel Hazanavicius über seinen Film DAS KOSTBARSTE ALLER GÜTER zu reden.
La plus précieuse des marchandises (Frankreich 2024)
81 Minuten
Drama / Animation / Historie
Michel Hazanavicius
Jean-Claude Grumberg, Michel Hazanavicius
Jean-Louis Trintignant, Grégory Gadebois, Denis Podalydès, Dominique Blanc, Serge Hazanavicius, Matej Hofmann, Antonin Maurel
Jürgen Prochnow, Aline Staskowiak, Kevin Kraus, Falilou Seck, Martin Kautz, Vlad Chiriac, Thorsten Tinney, Cristian Lehman Carrasco, Andree-Östen Solvik, Sebastian Hölz, Jörg Westphal
Studiocanal GmbH