Der Film der Woche

Call Jane

01.12.2022

Das ist nicht abwertend gemeint: Das US-Melodram CALL JANE von Phyllis Nagy wirkt im Nachhinein wie die „Light Version“ des französischen Venedig-Siegers von 2021 – „Das Ereignis“ von Audrey Diwan nach dem gleichnamigen autobiografischen Roman der aktuellen Literatur-Nobelpreisträgerin Annie Ernaux. Dieses aufwühlende Drama erzählt die Geschichte einer jungen Studentin, die ungewollt schwanger wird und verzweifelt versucht abzutreiben, um weiter studieren zu können. Doch Abtreibungen sind 1963 in Frankreich immer noch illegal.

In CALL JANE muss die US-amerikanische Hausfrau Joy (Elizabeth Banks) ein ähnliches Schicksal erleiden. Sie lebt 1968 in Chicago mit Ehemann und Teenager-Tochter ein scheinbar unbeschwertes Leben – die Studentenunruhen bekommt sie nur am Rande mit. Als sie erneut schwanger wird, stellt ihr Arzt die ernüchternde Diagnose: „Sie dürfen das Kind nicht zur Welt bringen – ihr eigenes Leben ist in Gefahr.“ Doch der Ethik-Rat ihres Krankenhauses verweigert ihr mit scheinheiligen Argumenten eine legale, medizinisch vertretbare Abtreibung.

Als sie eine dubiose Adresse in einer verrufenen Gegend aufsucht, flieht sie noch vor dem Eingriff voller Panik wegen der Schmuddeligkeit der Behausung. Doch an der Bushaltestelle findet sie einen Aushang: „Call Jane“. Hinter der angegebenen Telefonnummer verbirgt sich eine Vereinigung von mutigen Frauen, die Schwangeren in Not helfen wollen. Beim Treffen vor dem Eingriff lernt sie „Virginia“ (Sigourney Weaver) kennen, die sie bittet, ihre Augen zu verbinden. Der junge Arzt Dean (Cory Michael Smith) entpuppt sich als sehr einfühlsam, nachdem sie schon im Fahrstuhl die geforderten 600 Dollar gezahlt hatte.

Nach der erfolgreichen, in allen Einzelheiten gezeigten Abtreibuing („Jetzt wird es weh tun“) lernt sie den Rest der engagierten Frauen kennen und bekommt zur Erholung erst einmal einen Teller „Spaghetti Bolognese“ serviert. Sie erfährt dabei, dass „Virginia“ (natürlich nicht ihr richtiger Name) die Anführerin der „Janes“ ist. Unter dem Vorwand, einen Kunstkursus zu besuchen, kommt Joy immer öfter zu den Treffen des „Janes“ und mausert sich zu einer ihrer Aktivistinnen. Dabei entfremdet sie sich immer mehr von ihrem Mann Will (Chris Messina) und ihrer besten Freundin und Nachbarin Lara (Kate Mara). Als sie durch Zufall erfährt, dass Dean kein echter Arzt ist, erpresst sie ihn, ihr die einzelnen Schritte des Eingriffs und die Handhabe der Geräte zu erklären. Am Ende übernimmt sie alle Abtreibungen – genauso wenig ausgebildet wie Dean. (Ich gebe zu: Das könnte man unter Umständen als Freibrief für „Engelmacherinnen“ deuten.)

Die „Janes“ hat es in den späten 1960er-Jahren in den USA wirklich gegeben. Diese erfolgreiche Kampagne endete erst 1973, als der Supreme Court im denkwürdigen Fall „Roe versus Wade“ die Abtreibung legalisierte. Plötzlich waren die „Janes“ Heldinnen – und keine der Frauen wurde jemals bestraft.

Das glückliche Finale fühlt sich an, als hätten wir soeben ein „Feelgood-Movie“ gesehen. Doch die Regisseurin Phyllis Nagy hat es in ihrer einfühlsamen Inszenierung verstanden, dass wir Zuschauer auch immer wieder die Tragik hinter den Schicksalen der Frauen spüren. Hier wird nichts geglättet!

Man spürt: Sigourney Weaver wollte diesen Film unbedingt drehen. Und Elizabeth Banks, die wir sonst nur aus Hollywood-Komödien kennen, war noch nie so gut wie hier. Wie sie ihre vielschichtige Rolle zwischen Trauer und Trotz anlegt, ist unglaublich eindrucksvoll.

Trailer

ab12

Originaltitel

Call Jane (USA 2022)

Länge

122 Minuten

Genre

Drama

Regie

Phyllis Nagy

Drehbuch

Hayley Schore

Darsteller

Elizabeth Banks, Sigourney Weaver, Chris Messina, Kate Mara, Wunmi Mosaku, Cory Michael Smith, Grace Edwards, John Magaro

Verleih

DCM Film Distribution GmbH

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