Mehr denn je

Mit elf Jahren im Hamburger „Savoy“ bei „Ben Hur“ die Liebe zum Kino entdeckt. Dann kam mit „Blow Up“ und „Belle de Jour“ der „Arthouse-Film“ dazu. Seit 1989 ständiger Filmjournalist für diverse Medien. Jetzt fühlt er sich hier bestens aufgehoben.

Die in Berlin als Tochter französisch-iranischer Eltern geborene Regisseurin Emily Atef hat ihre bisherigen Filme alle auf Deutsch gedreht – unter anderem „3 Tage in Quiberon“ über das letzte deutsche Interview von Romy Schneider, gespielt von Marie Bäumer. Mit MEHR DENN JE hat Atef jetzt ihren ersten Film komplett auf Französisch und Englisch gedreht. In dem sehr traurigen Werk geht es um das Sterben einer jungen Frau – und um das Loslassen. Im europäischen Kino wird offenbar zur Zeit viel gestorben…

Die 33-jährige Hélène (Vicky Krieps) und ihr Mann Mathieu (Gaspard Ulliel) leben in Bordeaux glücklich zusammen. Doch sie bekommt kaum noch Luft beim Atmen. Eine seltene unheilbare Krankheit hat ihre beiden Lungenflügel befallen – die einzige Rettung ist eine Lungentransplantation. Im Internet trifft sie auf einen geheimnisvollen „Mister“ (Bjørn Floberg), der in seinem Blog Fotos und Gedanken über das Sterben veröffentlicht, die Hélène tief bewegen. Während Mathieu in Bordeaux ausharren will, bis der Name seiner Frau auf der Spender-Warteliste auftaucht, zieht es Hélène in „Misters“ Heimat: nach Norwegen. Gegen den Willen ihres Mannes reist sie umständlich mit dem Zug in die Fjordlandschaft von Mittelnorwegen – eine Flugreise ist ihr gesundheitlich verboten.

Der Norweger entpuppt sich als sympathischer älterer Herr, der ihr sein umgebautes Bootshaus, das direkt am Fjord liegt, als Domizil anbietet. Hélène verliebt sich sofort in die atemberaubende Landschaft: Hohe Berge und Meer bilden hier eine wunderbare Einheit. Mutig steigt sie per Leiter in das auch im Frühsommer noch eiskalte Wasser. Doch in den hellen Nächten kann sie nicht einschlafen.

Frustriert besucht Mathieu seine Frau, und kann sich nicht damit abfinden, dass sie in Norwegen bleiben will. Unmissverständlich sagt sie ihm: „Ich will keine Transplantation.“ Sie hat mit dem Leben abgeschlossen. Doch Mathieu kann nicht loslassen…

Dieses ernste Thema hat Emily Atef wunderbar einfühlsam und mit viel Liebe zur Landschaft umgesetzt. Wir alle wissen, dass die in Berlin lebende Luxemburgerin Vicky Krieps eine der besten europäischen Schauspielerinnen unserer Tage ist. Doch leider ist die Handlung extrem vorhersehbar. Am Ende bleibt Hélène allein in Norwegen zurück, um zu sterben. Sie winkt ein letztes Mal ihrem Mann zu, der auf der Fähre wegfährt.

Eine makabre Pointe: Im Film stirbt Hélène, und Mathieu überlebt. Im richtigen Leben ist es genau umgekehrt. Vicky Krieps lebt – doch Gaspard Ulliel ist beim Skilaufen im Januar 2022 tödlich verunglückt. MEHR DENN JE war sein letzter Film.