In seinem zweiten Spielfilm AMMONITE erzählt Regisseur Francis Lee die Geschichte der Fossiliensammlerin Mary Anning (Kate Winslet) und verbindet die Geschichte mit einer fiktiven Liebesgeschichte. Das kam nicht überall gut an.
Noch bevor er überhaupt eine einzige Szene gedreht hatte, war der Aufschrei groß. Denn ohne jegliche Beweise dichetete er der Fossiliensammlerin Mary Anning (1799-1847) eine lesbische Affäre an. Warum er das tat, hat Lee ausführlich in einem Interview erklärt, als der Film im vergangenen Jahr das BFI London Film Festival abschloss. Anning lebte seinerzeit mit ihrer von Krankheit gezeichneten Mutter (Gemma Jones) in ärmlichen Verhältnissen in Lyme Regis im südwestenglischen Dorset an der sogenannten „Jurassic Coast“. Ihre Fossilien-Funde verkaufte sie in ihrem kleinen Laden an Touristen, die wirklich bedeutenden jedoch stiftete sie dem British Museum in London. Doch aufgrund ihrer Standes und dem Umstand, dass sie eine Frau war, blieb ihr das Studium der Paläontologie verwehrt. Lob für ihre Arbeit bekam sie nur unter der Hand, wenn überhaupt.
Als eines Tages ein wohlhabender Besucher in ihrem Laden steht, kann sie sich nur schwer seines finanziell großzügigen Angebots entziehen, sich während seiner Studienreise um seine schwermütige Frau Charlotte (Saoirse Ronan) zu kümmern. Zunächst begegnet sie ihrem ungewollten Gast recht kühl und abweisend, doch als Charlotte schwer erkrankt, erfordert das Marys volle Aufmerksamkeit. Als es Charlotte wieder besser geht, kehrt auch bei Mary ein wenig die Lebensfreude zurück. Ihre harte Fassade bekommt Risse, und schon bald entwickelt sich eine gewisse Begierde zwischen den Frauen. Trotz aller gesellschaftlichen Bedenken lassen sich beide auf ihre Liebschaft ein und finden so zurück ins Leben.
Francis Lee betrachtet sich selbst als eine Art Außenseiter. „Es gibt nicht viele queere Menschen in der Filmindustrie“, so seine Auffassung. Schon früh wurde ihm unter vorgehaltener Hand gesagt, er solle doch bitte keine schwulen oder lesbischen Geschichten erzählen. Vielleicht hat er genau deshalb dies zu seinem Leitmotiv gemacht, denn bereits in seinem ersten Film „God’s Own Country“ erzählt er eine schwule Liebesgeschichte auf dem britischen Bauernhof. Im Falle von Mary Anning, die zeitlebens von Männern unterschätzt und übersehen wurde, kam ihm eine heterosexuelle Beziehung falsch vor. Vermutlich hätte eine Beziehung mit einem Mann für keinerlei Aufruhr gesorgt, selbst wenn es dafür genauso wenig Anhaltspunkte gegeben hätte.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet halte ich Lees Entscheidung für eine fiktionale lesbische Liebesbeziehung für durchaus nachvollziehbar, selbst wenn es vielleicht nur darum geht, so etwas ein weiteres Stück in Richtung Normalität zu schieben.
Losgelöst von dieser Diskussion hat AMMONITE aber auch ein paar Defizite und muss sich den Vergleich mit „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ von Celine Sciamma durchaus gefallen lassen. Schließlich weisen beide Filme diverse Parallelen auf, die nicht von der Hand zu weisen sind. In AMMONITE fällt es mir als Zuschauer schwer, mich für die Figuren zu interessieren. Diese verschlossene, wortkarge und unfassbar schlecht gelaunte Figur der Mary Anning erschwert er mir immens, irgendwelche Sympathien zu empfinden, obwohl Kate Winslet sie großartig darstellt. Auch Saoirse Ronan, die ich ansonsten immer gerne auf der Leinwand sehe, ist so verschlossen, dass mir der Zugang fehlt. Aufgrund dieser sich quasi vom Publikum abwendenden Figuren hatte ich meine Probleme, diese Liebe als glaubwürdig anzuerkennen.
So bleibt AMMONITE leider der schwächere der beiden Filme, wenn auch an Ausstattung und Kameraführung absolut nichts auszusetzen ist. Schade.
Ammonite (Großbritannien / Australien / USA 2020)
118 Minuten
Drama
Francis Lee
Francis Lee
Kate Winslet, Saoirse Ronan, Gemma Jones, James McArdle, Fiona Shaw, Alec Secareanu
Tobis Film GmbH & Co. KG