Die Kamera streift zu Beginn über die Gräber auf dem Friedhof von Newark, der hässlichen Stadt am Hudson River gegenüber von New York. Aus jedem Grabstein erklingt eine Stimme – letzte Worte eines oder einer Toten. Eine Stimme ist die der Familie der Moltisantis („Many Saints“) und Sopranos. Und deren Geschichte erfahren wir jetzt. Genialer kann ein Film nicht anfangen! Eine der erfolgreichsten US-TV-Serien der vergangenen Jahrzehnte hieß „Die Sopranos“ mit James Gandolfini in der Hauptrolle. Einer der Regisseure der sechs Staffeln war Alan Taylor. Und genau der bringt jetzt mit THE MANY SAINTS OF NEWARK das Prequel zur Serie in die Kinos. Die besondere Pointe: Michael Gandolfini spielt hier den jugendlichen Tony Soprano, acht Jahre nach dem Tod seines Vaters James.
Gleich vorweg: Dies hätte nach dem bärenstarken Beginn ein grandioser Mafia-Film werden können. Doch Alan Taylor und seine Drehbuchautoren David Chase und Lawrence Konner verzetteln sich. Man hat ständig das Gefühl, sie wollten zu viel in die 120 Minuten reinzwängen – als ob sie eine TV-Serie in einen Spielfilm zu pressen versuchten. Das macht es nicht gerade einfach, den Inhalt dem Kinofan schmackhaft zu machen.
Newark, Mitte des 1960er-Jahre: Dickie Moltisanti (Alessandro Nivola) und sein Lieblingsneffe Tony Soprano erwarten am Hafenpier die Rückkehr seines Vaters „Hollywood Dick“ Moltisanti (Ray Liotta) und seiner jungen Frau aus Italien. Wie wir es von Mafia-Filmen kennen, steigt der Vater sofort in die illegalen Geschäfte seines Sohnes und dessen Schwager Johnny Soprano (Jon Bernthal) ein. Konkurrent bei den Drogen- und Schutzgeldoperationen ist der Afroamerikaner Harold McBrayer (Leslie Odom, Jr.), jahrelang zuvor auf Dickies Seite. Der Zwist der beiden Gruppen eskaliert, als im Juli 1967 wegen eines Übergriffs der Polizei in Newark Rassenunruhen ausbrechen – mit tagelangen blutigen Kämpfen auf den Straßen. Das ist damals alles wirklich passiert!
Jahre später: Nach dem gewaltsamen Tod von „Hollywood Dick“ ist Dickie alleiniger Chef des Mafia-Clans, da Johnny im Knast sitzt. Tony (als Teenager: Michael Gandolfini) himmelt seinen Onkel immer noch an, was seine Mutter Livia (Vera Farmiga) eher beunruhigt. Am Ende sind fast alle Verwandten von Tony Soprano tot – und er kann seine Verbrecherlaufbahn als Mafia-Boss starten (siehe TV-Serie).
Wer die sechs Staffeln der Serie kennt, fühlt sich im Film sofort zu Hause. Alle anderen tun sich schwer, die vielen Episoden und Zeitsprünge einzuordnen. Was besonders schwer wiegt: Regisseur Alan Taylor musste den Ballast der berühmten Mafia-Filme der vergangenen Jahrzehnten mit sich herumschleppen – angefangen bei Coppolas „Der Pate“ und Scorseses „Good Fellas“. Der Besetzungscoup, Ray Liotta mitwirken zu lassen, kann auch eine Bürde sein – schließlich spielte er in „Good Fellas“ eine der Hauptrollen. Doch zwei Dinge sprechen für Alan Taylor: der 60er-Jahre-Lock mit seinen grell-bunten, aber stumpfen Farben und der sensationelle Score: von den „Everly Brothers“ und Miles Davis bis zu den „Rolling Stones“ und Van Morrison.
The Many Saints of Newark (USA 2021)
120 Minuten
Krimi / Drama
Alan Taylor
David Chase, Lawrence Konner
Alessandro Nivola, Leslie Odom Jr., Jon Bernthal, Corey Stoll, Michael Gandolfini, Billy Magnussen, Michela De Rossi, John Magaro, Ray Liotta, Vera Farmiga
Warner Bros. Entertainment GmbH