Eine Liebe, die auch nach 50 Jahren nicht aus dem Gedächtnis verschwunden ist, muss groß gewesen sein. Wie man die Person nach so langer Zeit wiederfindet, davon erzählt der isländische Autor und Regisseur Baltasar Kormákur in seinem berührenden Film TOUCH.
Als sich der junge isländische Student Kristófer (Pálmi Kormákur) in seiner Wahlheimat London mehr und mehr langweilt, fasst er einen Entschluss: Er schmeißt sein Studium hin und fängt als Küchenhilfe in einem japanischen Restaurant an. Langsam erarbeitet er sich den Respekt seines Chefs Takahashi-san (Masahiro Motoki) und verliebt sich in dessen Tochter Miko (Kōki). Das darf ihr Vater jedoch unter keinen Umständen erfahren. Doch eines Tages steht Kristófer vor einem verschlossenen Lokal. Von einem Tag auf den anderen ist Takahashi-san mit seiner Tochter zurück nach Japan gegangen. Nur warum?
Traurig kehrt Kristófer in seine Heimat Island zurück, eröffnet dort ein Restaurant, heiratet und bekommt Kinder. Inzwischen sind fünfzig Jahre vergangen, doch als sein Arzt bei ihm eine Demenzerkrankung diagnostiziert, fasst der inzwischen verwitwete Kristófer (jetzt: Egill Ólafsson) den Entschluss, seine erste große Liebe Miko wiederzufinden. Ausgerechnet in der Pandemie reist er nach London, in die Stadt, in der alles begann. Von dort geht es letztendlich weiter nach Japan, wo seine Suche ein überraschendes Ende findet.
Der isländische Autor, Regisseur und Schauspieler Baltasar Kormákur ist schon immer in mehreren Genres zu Hause. Ob Drama, wie beispielsweise „Die Farbe des Horizonts“ („Adrift“, 2018), Action, wie „Contraband“ (2012) oder „Everest“ (2015), oder Thriller wie „Der Eid“ („The Oath“, 2016) – festlegen wollte sich Kormákur nie. Mit TOUCH wagt er sich nun in das Genre der Liebesfilme vor – und überzeugt auf ganzer Linie. Der Film hat mich – no pun intended – wirklich tief berührt. Einer der wenigen Filme, die ich mir sofort nach dem Ende des Abspanns ein weiteres Mal angesehen hätte.
In der Rolle des jungen Kristófer ist Kormákurs Sohn Pálmi zu sehen, der einzige seiner Söhne, den es bislang nicht vor die Kamera gezogen hat – abgesehen von einer kleinen Rolle in einem früheren Film Kormákurs. Wie er seinen Sohn davon überzeugt hat, hier sogar die Hauptrolle zu übernehmen, hat er mir im Interview verraten (s. u.). Für TOUCH ist das ein Glücksfall, denn Pálmi Kormákur spielt den jungen Kristófer mit einem solchen Einfühlungsvermögen, dass man sich seiner Präsenz als Zuschauer kaum entziehen kann.
Aber auch die restliche Besetzung kann sich sehen lassen. Egill Ólafsson als älterer Kristófer ist in Island ein bekannter und äußerst beliebter Schauspieler, der einen gewissen Charme besitzt. Da er selbst an Parkinson erkrankt ist, konnte er sich in seine Figur recht gut hineinfinden. Zudem ließ sich seine Mutter einst von seinem Vater scheiden, um ihre erste Liebe wiederzufinden und dann die letzten Jahre ihres Lebens mit diesem Mann zu verbringen. „Mit der Liebe ist das so eine Sache“, meint Egill Ólafsson. „Sie ist ein unergründliches Phänomen und vielleicht etwas, das wir Menschen überhaupt nicht kontrollieren können. Wir sind oft verwirrt, wenn Liebe im Spiel ist. Ich glaube, dieser Mann hat nichts zu verlieren, als er sich entschließt, alles hinter sich zu lassen und sich auf seine Reise zu begeben. Er ist davon überzeugt, dass er etwas findet – und das wird er auch.“
Für die Rolle der Miko engagierte das Team Songwriterin und Model Kōki, die 2022 in dem Horrorfilm „Ushikubi Village“ von Regisseur Takashi Shimizu ihr Schauspieldebüt gab. Die Besetzung der älteren Miko gestaltete sich dann aber als nahezu unmöglich, schließlich musste hier eine ältere Japanerin gefunden werden, deren englische Aussprache so gut ist, dass man ihr abnimmt, viele Jahre im Ausland gelebt zu haben. Letztendlich übernahm die Casterin Yoko Narahashi selbst diese Rolle, da keiner ihrer Vorschläge das Team überzeugen konnte.
TOUCH basiert auf dem Roman „Snerting“ des isländischen Autors Ólafur Jóhann Ólafsson, das ihm seine Tochter vor einigen Jahren zu Weihnachten schenkte. Kormákur war von der Geschichte so begeistert, dass er das Buch partout nicht zur Seite legen konnte und innerhalb eines Tages las. Sofort war ihm klar, dass er die Geschichte verfilmen musste, und so rief er noch am selben Tag – also noch an Weihnachten – den Autor an und fragte, ob er mit ihm zusammen das Drehbuch schreiben würde. Bereits am nächsten Tag trafen sich die beiden, und nach einem Handschlag begannen sie umgehend mit dem Schreiben. Das Ergebnis sehen wir jetzt auf der Leinwand.
Jeder von uns hat vermutlich in seinen jüngeren Jahren Dinge getan, vielleicht aus Unerfahrenheit, vielleicht aufgrund mangelnder Rücksichtnahme oder fehlendem Einfühlungsvermögen, die uns heute noch beschäftigen. So kann das Bedürfnis nach Klärung zu einer schweren Last werden. Dieses universelle Verlangen fasst Kormákur wundervoll in eindrucksvolle Bilder, die uns zeigen, dass es dafür niemals zu spät ist. Wirklich. Niemals.
Touch (USA 2024)
121 Minuten
Drama
Baltasar Kormákur
Baltasar Kormákur, Ólafur Jóhann Ólafsson, basierend auf dem Roman "Snerting" von Ólafur Jóhann Ólafsson
Egill Ólafsson, Pálmi Kormákur, Kōki, Masahiro Motoki, Yôko Narahashi, Ruth Sheen, Masatoshi Nakamura, Meg Kubota, Starkadur Pétursson, Siggi Ingvarsson, Akshay Khanna, Kieran Buckeridge
Universal Pictures International Germany GmbH