Schmetterlinge im Ohr

Mit elf Jahren im Hamburger „Savoy“ bei „Ben Hur“ die Liebe zum Kino entdeckt. Dann kam mit „Blow Up“ und „Belle de Jour“ der „Arthouse-Film“ dazu. Seit 1989 ständiger Filmjournalist für diverse Medien. Jetzt fühlt er sich hier bestens aufgehoben.

Wie geht man mit einem Handicap um, das scheinbar niemand zu bemerken scheint? In SCHMETTERLINGE IM OHR muss ein Mann in den besten Jahren begreifen, dass er kurz vor der Taubheit steht. Doch bislang konnte er seine Krankheit geschickt vertuschen.

Antoine (Pascal Elbé als Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Regisseur in Personalunion) ist ein gutaussehender Geschichtslehrer in den 50ern. Doch als sich seine Schüler nicht mehr für den Unterricht interessieren und er sich im Lehrerzimmer an keiner Diskussion beteiligt, sollte ihm das zu denken geben. Des Rätsels Lösung: Er ist extrem schwerhörig – was das Leben nicht gerade einfach macht. Morgens stellt er den sehr lauten Wecker nicht ab, und nachts dreht er seine Stereoanlage bis zum Anschlag voll auf – was seine neue Nachbarin Claire (Sandrine Kiberlain) zur Weißglut treibt.

Antoine hat nur eine Verbündete: Claires junge Tochter Violette (Manon Lemoine), die nach dem Tod ihres Vaters nicht mehr spricht und durch Zufall hinter das Geheimnis des Nachbarn kommt. Hier haben sich zwei Randfiguren der Gesellschaft gefunden! Als sich Antoine endlich zum Einsetzen eines Hörgeräts entschließt, glaubt es seinen Ohren nicht zu trauen: „Will ich diese Flut von neuen Geräuschen wirklich ertragen?“ Diesen Zwiespalt setzt der Regisseur wunderbar einfühlsam um.

Als sich Violette bei Antoine einnistet, weil ihre Mutter sie wieder mal ausgesperrt hat, und sie gemeinsam Spaghetti kochen, findet auch Claire langsam Gefallen an ihrem merkwürdigen Nachbarn. Da bahnt sich eine Liebe an. Am Ende besuchen die drei Antoines demente Mutter am Meer. Ein wunderschöner Schluss!

Der Regisseur zeigt viel Liebe für seine Figuren und ihre Eigenheiten. In jüngster Zeit häufen sich Filme über körperliche und geistige Behinderungen – siehe der Oscar als Bester Film für „CODA“. Doch so präzise und gleichzeitig (trotz der Tragik) so humorvoll gelingt es nur wenigen Filmen. Hier hat Pascal Elbé den Nerv der Zeit getroffen.