Der Film der Woche

Parallele Mütter

10.03.2022

Der spanische Star-Regisseur Pedro Almodóvar unternimmt in seinem neuen Film PARALLELE MÜTTER etwas sehr Gewagtes: Er verzahnt eine sehr private mit einer sehr politischen Geschichte, die auf den ersten Blick nicht zueinander passen wollen. Doch es funktioniert! Außerdem stellt er den Kritiker vor eine schier unlösbare Aufgabe. Denn mitten im Melodram lässt er eine sensationelle Pointe „aus dem Sack“ – doch das bekannte Spoiler-Verbot gilt für jeden seriösen Journalisten: Der Rezensent schweigt.

Die erfolgreiche Fotografin Janis (Penélope Cruz) lernt bei einer Porträt-Session den forensischen Anthropologen Arturo (Israel Elejalde) kennen und bittet ihn um einen sehr persönlichen Gefallen. In der Nähe ihres Heimatdorfes befindet sich aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs ein unbekanntes Massengrab, in dem (neben anderen Dorfbewohnern) auch ihr Urgroßvater verscharrt sein soll. Könnte Arturo nicht bei der Exhumierung helfen? Da er bei diesen Aktionen auf Spendengelder angewiesen ist, hält er sie erst einmal hin – landet abends aber bei ihr im Bett. Neun Monate später wartet sie auf der Entbindungsstation auf ihr erstes Baby. Dort trifft sie auf die minderjährige Ana (Milena Smit), mit der sie sich anfreundet. Beide ungewollt Schwangeren sind sichtlich nervös, Janis ist dabei überglücklich, Ana dagegen hyperängstlich, zumal ihre Mutter sich weigert, sie seelisch zu unterstützen. Allmählich kommt Janis hinter Anas Geheimnis: Bei einer Party wurde die 17-Jährige von drei Schulkameraden vergewaltigt, und sie weiß nicht, wer der Vater ist.

Auch nach der für beide Mütter erfolgreichen Geburt bleiben die Frauen noch einige Tage in Kontakt, bevor sich ihre Wege trennen. Janis geht vollkommen auf in ihrer neuen Rolle als (nicht mehr ganz junge) Mutter, Ana stattdessen verkriecht sich. Durch Zufall trifft Janis Monate später Ana wieder, die in der Nähe ihrer Wohnung als Kellnerin arbeitet: mit schrill gefärbten Haaren und total verstört. Da sie mit ihrem Au-pair-Mädchen als Babysitterin nicht zufrieden ist, überredet sie Ana, deren Job zu übernehmen – gegen gute Bezahlung. Was jetzt folgt, ist schlichtweg der Hammer! (Entwarnung: PARALLELE MÜTTER ist kein Horrorfilm!)

Pedro Almodóvar, der ungekrönte König des europäischen Melodrams, hat wieder in sensationeller Manier zugeschlagen. Mit seinen gewohnt grellen Farben ist dieser Film vor allem ein Fest für die Augen. Die raffiniert aufgebauten Sets sind wie immer makellos inszeniert, das Timing ist perfekt, und die Geschichte ist für jede Überraschung gut. Penélope Cruz, die für diese Rolle beim Filmfestival von Venedig den Darstellerinnenpreis erhielt und zudem als beste Hauptdarstellerin für einen Oscar nominiert ist, spielt überragend, aber auch die Neuentdeckung Milena Smit ist als Ana mit ihrer (scheinbaren) Naivität eine Offenbarung.

Manche meiner Kollegen hatten Probleme mit den offensichtlichen dramaturgischen Brüchen im Film. Ich kann das akzeptieren (deshalb auch keine Höchstnote). Doch in meinen Augen gelingt Pedro Almodóvar erneut eine perfekte Gratwanderung zwischen Melodram, spannenden Twists und absurder Komödie. Für diese Art Kino lieben wir ihn seit Jahrzehnten!

Nach all den dramatischen Entwicklungen endet der Film wirklich am Rande eines ausgehobenen Massengrabs. Eine bizarre Parallele: Anas Mutter ist Schauspielerin und probt ein Stück von Federico García Lorca. Auch dieser berühmte spanische Autor endete während des Bürgerkriegs in einem Massengrab. Makabre Pointe eines großen Films! Mit nur wenigen Szenen beweist der Regisseur: Die Geschichte ist nie vorbei. Einer der persönlichsten Filme von Pedro Almodóvar!

Trailer

ab6

Originaltitel

Madres Paralelas (Spanien 2021)

Länge

123 Minuten

Genre

Drama

Regie

Pedro Almodóvar

Drehbuch

Pedro Almodóvar

Darsteller

Penelope Cruz, Milena Smit, Israel Elejalde, Aitana Sánchez-Gijón, Rossy de Palma, Julietta Serrano

Verleih

Studiocanal GmbH

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