Der Film der Woche

The Banshees of Inisherin

05.01.2023

Warum beginnt ein 1923 auf einer Insel vor der irischen Westküste spielendes Drama ausgerechnet mit einem bulgarischen Volkslied? Regisseur Martin McDonagh und sein Komponist Carter Burwell zeigten sehr viel Mut, uns in THE BANSHEES OF INISHERIN mit fremdländischen Klängen zu überraschen. Burwell hatte schon 1996 im Coen-Meisterwerk „Fargo“ die schrille und blutige Handlung mit einem norwegischen Folksong unterlegt, den wir während des ganzen Films nicht mehr aus den Ohren bekommen. Burwell weiß, wie er uns Kinozuschauer akustisch manipulieren kann…

Schon ihr Leben lang sind der Milchbauer Pàdraic (Colin Farrell) und der Dorfmusikant Colm (Brendon Gleeson) die engsten Freunde. Beide leben auf der größten der drei Aran Islands vor der Küste von Galway. Den auf der irischen Hauptinsel tobenden Bürgerkrieg bekommen sie nur am Rande mit: ein bisschen Granatenfeuer am Horizont – das ist alles. Pàdraic haust mit seiner Schwester (Kerry Condon) in einem ärmlichen Cottage in der kargen Einöde und muss sogar das Schlafzimmer mit ihr teilen. Colm residiert mit seinem Hund direkt an einer malerischen Bucht.

Bei einem Glas Guinness vor dem einzigen Pub des Dorfes sagt Colm – wie aus dem Nichts – plötzlich zu Pàdraic: „Ich kündige unsere Freundschaft – du bist mir zu langweilig. Wenn du dich nicht an diese Abmachung hälst, schneide ich mir aus Protest einen Finger ab.“ (Für einen Geiger grenzt das fast an ein Todesurteil.)

Pàdraic ist wie vor den Kopf gestoßen. „Bin ich langweilig?“, fragt er seine Schwester. „Du bist nett“, ist ihre eher zurückhaltende Antwort. Im Pub wechselt Colm von nun an kein Wort mehr mit seinem Exfreund. Als dann der erste Finger in einem Päckchen ankommt, ist Pàdraic natürlich am Boden zerstört. Sein einziger Vertrauter ist der debile Dorftrottel (Barry Keoghan), Sohn des örtlichen Polizisten. Als dann auch noch seine Schwester wegen einer Anstellung auf dem „Festland“ die Insel verlässt, ist Pàdraics Leben augenscheinlich am Ende.

Martin McDonagh („Brügge sehen und sterben“, „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“) inszeniert THE BANSHEES OF INISHERIN wie ein düsteres Drama von William Shakespeare. Auch die „Banshee“ – die örtliche Hexe – darf natürlich nicht fehlen. Der Regisseur greift wie sein großes Vorbild aus Stratford-upon-Avon die großes Fragen auf, ohne den Film unnötig zu belasten. Wo beginnt, wo endet Freundschaft?

Der Regisseur har den Film an Ort und Stelle gedreht: Die Aran Islands haben sich im Laufe der vergangenen 100 Jahre kaum geändert: Immer noch fahren die Einwohner mit ihren bizarren „Jaunting Cars“ (zweirädrige Pferdewagen) über die Insel. (Ich war selbst da!)

Seit ihrem unvergesslichen, gemeinsamen Auftritt in „Brügge sehen und sterben“ sind die Iren Colin Farrell und Brendon Gleeson im europäischen Kino eine unverzichtbare Größe. Auch hier liefern beide eine atemberaubende Vorstellung ab. Hier haben zwei begnadete Schauspieler und ein genialer Regisseur ein archaisches Thema gefunden, das uns alle umhaut. Ein Meisterwerk!

Trailer

Im Rahmen der Berichterstattung
ab16

Originaltitel

The Banshees of Inisherin (USA 2022)

Länge

114 Minuten

Genre

Drama

Regie

Martin McDonagh

Drehbuch

Martin McDonagh

Darsteller

Colin Farrell, Brendan Gleeson, Kerry Condon, Barry Keoghan, Gary Laydon

Verleih

Walt Disney Studios Motion Pictures Germany GmbH

Weitere Neustarts am 05.01.2023