Red Rocket

Gründer und Chefredakteur von nochnfilm.de. Fan der kleinen, aber äußerst feinen Filme. Zwischendurch darf es auch gerne mal ein Blockbuster sein. In allen Genres zu Hause, aber ständig auf der Suche nach dem nächsten Lieblingsfilm.

In seinem neuesten Film RED ROCKET erkundet Regisseur Sean Baker die Welt der Erwachsenenfilmindustrie, Zuhälter und Drogendealer – und überrascht dabei in vielerlei Hinsicht.

Nach fehlenden Jobangeboten und Geldnot kehrt der einstige Pornostar Mikey Saber (Simon Rex) in seine kleine texanische Heimatstadt zurück. Seine Noch-Ehefrau Lexi (Bree Elrod) ist wenig davon begeistert und nimmt ihn nur widerwillig bei sich auf. Um irgendwie an Geld zu gelangen, beginnt Mikey Gras zu verticken. Dabei trifft er auf die junge Strawberry (Suzanna Son), die als Verkäuferin in einem Donut-Laden arbeitet. Er verführt sie, um sie als Eintrittskarte zurück in seine alte Welt zu benutzen…

Es ist wahrlich nichts Liebenswertes an dieser Hauptfigur zu finden. Mikey manipuliert mit seinem Charme sein Umfeld und bringt es immer wieder dazu, seine eigentliche Abneigung abzulegen. Ein wahrer Verführer, der nichts unversucht lässt, um seine Ziele zu erreichen. Aber auch alle anderen Figuren in RED ROCKET bemühen sich nicht wirklich, die Anerkennung des Publikums zu gewinnen. Normalerweise habe ich bei solchen Filmen, denen eine positive Identifikationsfigur vollends fehlt, so meine Probleme. Erstaunlicherweise ist das in diesem Fall aber irgendwie anders. Warum fiebert man mit einem unhöflichen, egoistischen und selbstverliebten Typen mit und hofft sogar noch, dass ihm nichts Schlimmes widerfahren möge?

Eine Frage, die ich mir seit der Sichtung des Films immer wieder gestellt habe, auf die ich aber bislang keine zufrieden stellende Antwort gefunden habe. Vielleicht liegt es einfach an der unfassbar guten Inszenierung von Sean Baker, der nach seinem Meisterwerk „The Florida Project“ wieder einmal ein kleines Meisterwerk vorlegt.

Baker interessierte sich schon immer für das Leben am Rande der Gesellschaft. Ob es sich um Transgender-Sexarbeiterinnen in „Tangerine L.A.“ oder eine arbeitslose, alleinerziehende Mutter in „The Florida Project“ handelt – immer geht Bakers Blick genau dort hin, wo andere wegschauen würden. Und mit RED ROCKET ist ihm nun ein schonungsloses Porträt der weißen Unterschicht in den USA gelungen.

„Manche Menschen werden jedes Mal am Kopf getroffen, wenn eine Flasche in die Menge geworfen wird“, sagt Baker. „Andere geraten in die Scheiße und kommen mit heiler Haut davon, ohne dass ihnen etwas passiert. Mikey ist einer von diesen Typen. Er denkt nicht über die Zukunft nach. Er kümmert sich nicht um die Konsequenzen. Ich glaube, das Wort, das wir immer wieder benutzten, war: überleben. Mikey versucht nur zu überleben“, so Baker über seinen Protagonisten. Dabei porträtiert er unweigerlich auch ein Stück der amerikanischen Gesellschaft, in der immer mehr Menschen abgehängt werden. Und diejenigen, die nach Erfolg streben, tun das meist ohne Rücksicht auf Verluste. Es ist ihnen schlichtweg egal, ob dabei irgendjemand anderes auf der Strecke bleibt.

Vielleicht ist es genau dieser leicht voyeuristische Blick auf das Geschehen, dass uns als Zuschauer so sehr fasziniert. In jedem Fall ist Sean Baker mit RED ROCKET ein beeindruckender Film gelungen, über den man trotz all der negativen Figuren noch lange nachdenkt. Aus welchen Gründen auch immer.