Der Film der Woche

Pearl

01.06.2023

„Vom Winde verweht“ – oder diesmal „Vom Blut verweht“: Der Horrorfilm PEARL von Ti West zeigt uns auf sensationelle Weise die andere Seite der US-Südstaaten. Damals (1939) tauchten wir mit Vivien Leigh und Clark Gable ein in die Abgründe eines Melodrams, das uns alle begeisterte: ein Südstaaten-Epos in farbgesättigten Technicolor-Bildern mit Szenen, die in die Filmgeschichte eingegangen sind. Jetzt hat der US-Regisseur Ti West mit PEARL den genialen Gegenentwurf geliefert: ein Farbenrausch über eine Zeit, bei der damals einiges schief gelaufen ist.

Zur Vorgeschichte: In Ti Wests brillantem Horror-Kracher X kommt eine Gruppe von ehrgeizigen Film-Fans auf eine abgelegene Farm, um dort einen Porno-Film zu drehen – die neuen Gesetze machen dies Mitte der 1970er-Jahre auch legal möglich. Mit dabei ist Maxine (Mia Goth), die das Abenteuer als einzige überlebt. Denn das uralte Ehepaar, dem die Farm gehört, hat was gegen die Neuankömmlinge und schlachtet einen nach dem anderen ab. Hilfreich ist dabei ein Alligator im benachbarten Teich. Doch warum dieser Hass? Jetzt folgt die Auflösung. Auch die alte Frau Pearl dieses Ehepaares wurde von Mia Goth gespielt (ein grandioser Besetzungs-Coup) – und wir lernen jetzt diese junge Frau als energische Wildkatze kennen, die sich gegen jeden und gegen alles zur Wehr setzt.

1918: Pearl (Mia Goth), lebt noch auf der Farm ihrer Eltern, denn ihr Mann kämpft als Soldat in Europa – Zukunft ungewiss! Zuspruch empfängt sie von ihrer Schwägerin Mitsy (Emma Jenkins-Purro), die ihr Mut macht. Bei einem ihrer seltenen Ausflüge in die benachbarte Stadt lernt Pearl den Filmvorführer (David Corenswet) kennen, der ihr einen (illegalen) Stag-Film vorführt, die Vorform eines Porno-Films. Pearls Interesse ist geweckt…

Diesen Zwiespalt einer jungen Frau setzt der Regisseur Ti West mustergültig um. Pearl will mehr – doch die Gesellschaft lässt dies nicht zu. Ihr kränkelnder Vater und ihre verhasste Mutter sind ihr keine Hilfe – deshalb ergreift sie die Initiative. Als erste müssen ihre Schwägerin und der Filmvorführer dran glauben – und auch der Alligator im benachbarten Teich ist zu allem bereit. (Offensichtlich ist er ein Vorfahre des Krokodils aus „X“.).

Wie wird eine junge Frau zu diesem Monster? Ti West und Mia Goth, die die mitreißende Co-Autorin des Drehbuchs war, verzichten bewusst auf Erklärungsversuche. Hier hat eine Frau mit ihrem bisherigen Leben abgeschlossen – mit allen Konsequenzen. Und das ziehen Ti West und Mia Goth gnadenlos durch.

PEARL ist ein Meilenstein der Kinogeschichte. Hier haben ein unglaublich fähiger Regisseur und seine begnadete Hauptdarstellerin und Co-Autorin den Weg gefunden, ein vermeintlich ausgelutschtes Genre gegen den Strich zu bürsten. In dieser grandiosen knallbunten Technicolor-Orgie ist alles anders. Und auch die Farbe spielt mit.

Es gibt Menschen, die sich Horrorfilme nicht antun wollen. Diesmal bitte ich alle: Macht eine Ausnahme, dieser Film ist das Beste in diesem Genre, was ihr in diesem Jahr zu sehen bekommt. Danke!

Trailer

ab18

Originaltitel

Pearl (USA 2023)

Länge

103 Minuten

Genre

Horror

Regie

Ti West

Drehbuch

Ti West, Mia Goth

Darsteller

Mia Goth, Peter Phok, Sam Levinson, Ashley Levinson, Scott Mescudi, Dennis Cummings, Karina Manashil

Verleih

Universal Pictures International Germany GmbH

Filmwebsite

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