Eine Triggerwarnung gleich zu Beginn: PARTHENOPE vom Oscar-prämierten italienischen Regisseur Paolo Sorrentino („La Grande Bellezza“) liefert Hochglanzpanoramen, die völlig arglose Zeitgenoss:innen wohl denken lassen, sie hätten sich in einen Werbespot für eine Luxusmarke verlaufen. Fans von Fellini können sich indes nicht sattsehen an dieser Schönheit, die in Melancholie ertrinkt.
In der griechischen Mythologie war PARTHENOPE eine von drei Sirenen (neben Leucosia und Ligea), die im Mittelmeer lebten. Auch in Homers „Odyssee“ spielte sie eine Rolle. PARTHENOPE lockte mit ihrer verführerischen Stimme Seeleute und Reisende an, um sie dann zu töten. Weil sie Odysseus nicht mit ihrem Gesang betören konnte, sprang sie ins Meer und ertrank im heutigen Golf von Neapel.
Sorrentino erzählt im gleichnamigen Film PARTHENOPE die Lebensgeschichte einer Frau, die 1950 in Neapel bei einer Wassergeburt das Licht der Welt erblickt. Als Titelfigur glänzt Celeste Dalla Porta in ihrem Langfilmdebüt nicht nur mit jugendlicher, fast makelloser Schönheit, die von Bildgestalterin Daria D‘Antonio kongenial eingefangen wurde. Es ist hier unbedingt auch schauspielerische Substanz erkennbar, die weitere Filme freudig erwarten lässt.
PARTHENOPE nutzt ihre Schönheit nicht aus, bleibt vermeintlich ein Mysterium. Männer verfallen ihr zwar reihenweise, doch sie liest lieber Bücher des depressiven und alkoholkranken Autors John Cheever, den sie später auch kennenlernen wird (großartig: Gary Oldman). Sie nimmt ein Studium der Anthropologie (die Wissenschaft vom Menschen) auf und findet in ihrem Professor Devoto Marotta (Silvio Orlando) einen Ziehvater.
In ihren jungen Jahren genießt PARTHENOPE zügellos das „dolce vita“ mit ihrem Bruder Raimondo (Daniele Rienzo) und Sandrino (Dario Aito), dem Sohn eines Dienstmädchens ihrer Eltern. Beide sind lost in love. Raimondo weiß zwar alles, aber hadert mit dem Leben – und bringt sich schließlich um. Die Eltern geben PARTHENOPE die Schuld und lassen ihren eigenen Reichtum zusehends verfallen.
Als Schauspielerin taugt PARTHENOPE nicht (wie wir in skurrilen Episoden erfahren) und schlägt somit unter der Schirmherrschaft ihres Professors eine akademische Karriere ein. Dabei erlebt sie einige amouröse Abenteuer. Ausflüge ins Groteske inklusive, wie etwa die Fusion zweier großer Familien als Geschlechtsakt vor Publikum oder die sexuelle Annährung an einen Bischof, der teuflische Züge in sich trägt.
Im Herbst ihres Lebens verkörpert mit Stefania Sandrelli eine Ikone des italienischen Kinos PARTHENOPE. Sie hat Neapel verlassen und ist Professorin in Trient geworden. Der Preis ihrer Freiheit ist, dass sie allein geblieben ist. Vergänglichkeit und die für Sorrentino („Ewige Jugend“) typische Melancholie sind hier allgegenwärtig.
Sorrentino gilt als Chronist seines Landes und ist purer Nostalgiker: PARTHENOPE ist eine Liebeserklärung an die italienische Küstenstadt Neapel und an Großmeister wie Fellini. Bisher spielten immer Männer die erste Geige in seinen Filmen, nun steht endlich eine Frau im Zentrum. Dass diese nicht einmal nackt gezeigt wird, verwundert schon. Verführerisch as hell ist sie natürlich trotzdem. Und tiefgründig auch.
Kinomagie für Arthouse-Fans, die nach 137 Minuten mit der Zunge schnalzen und sich gleich das Ticket für die nächste Vorstellung lösen. Alternativ bitte auch „Der Zauber von Malena“ mit Monica Belucci und „Gefühl und Verführung“ mit Liv Tyler rewatchen.
Parthenope (Italien / Frankreich 2024)
137 Minuten
Drama / Romanze
Paolo Sorrentino
Paolo Sorrentino
Daria D’Antonio
Celeste Dalla Porta, Stefania Sandrelli, Gary Oldman, Silvio Orlando, Luisa Ranieri, Peppe Lanzetta, Isabella Ferrari, Silvia Degrandi, Lorenzo Gleijeses, Daniele Rienzo, Dario Aito
Wild Bunch Germany GmbH