Der Film der Woche

Men – Was Dich sucht, wird Dich finden

21.07.2022

Seid gewarnt: Auch in seinem dritten Spielfilm macht es uns der britische Regisseur Alex Garland nicht leicht. Nach Jahren als erfolgreicher Drehbuchautor („28 Days Later“) wagte er sich 2015 an sein Regiedebüt – und „Ex Machina“ hat uns damals wohl alle umgehauen. Dieses sensationelle Science-Fiction-Kammerspiel um einen selbstgefälligen Mehrfachmillionär, der in seiner hochmodernen Villa in den norwegischen Bergen einen jungen Mann dazu verleiten will, sich in einen weiblichen Roboter (Alicia Vikander) zu verlieben, traf den Nerv der Zeit. Nach „Annihilation“ („Auslöschung“, 2018) kommt jetzt MEN – WAS DICH SUCHT, WIRD DICH FINDEN ins Kino. Aber Vorsicht: Wer im Vorfeld einen „normalen“ Horror-Film erwartet, wird enttäuscht werden. Dieser Film ist „reinstes“ Arthouse-Kino! Aber was für eines!

Harper (Jessie Buckley) will sich von James (Paapa Essiedu) scheiden lassen. Doch er droht mit Selbstmord. Nach einem heftigen Ehestreit schlägt er sie zum ersten Mal. Sie schmeißt ihn aus der Londoner Wohnung, und er stürzt sich vom Dach in den Tod. Um nach dieser Tragödie wieder zu sich zu finden, mietet Harper in einem englischen Provinznest für zwei Wochen ein feudales, viel zu großes Landhaus. Jovial führt sie der Vermieter Geoffrey (Rory Kinnear) durch die Gemächer des 500 Jahre alten Hauses: Kaminzimmer, Esszimmer, Klavierzimmer, Schlafzimmer mit Himmelbett. Was will sie hier?

Bei ihrem ersten Spaziergang im Wald landet sie im Tunnel einer vor Jahren stillgelegten Eisenbahntrasse, wo sie das faszinierende Echo in allen Varianten ausprobiert. Auf dem Rückweg trifft sie auf einen nackten Mann (auch: Rory Kinnear), der abends vor ihrem Fenster auftaucht. Nach einem panischen Notruf kann die Polizei den offenbar obdachlosen Stalker festnehmen. Alex Garlands Pointe: Alle Dorfbewohner werden von Rory Kinnear gespielt: Warum heißt der Film wohl MEN?

Am nächsten Tag trifft die völlig verunsicherte Harper in der Kirche auf den örtlichen Pfarrer (ebenfalls Rory Kinnear), der ihr tröstend (!) die Hand auf das Knie legt. Hat er womöglich andere Absichten? Außerdem muss sie sich gegen einen rotzfrechen Jungen (Rory Kinnear digital verjüngt) wehren – und im Pub wird sie vom Dorfpolizisten angemacht. Was stimmt hier nicht? Und warum trifft sie im Kaff keine andere Frau?

Ganz allmählich entgleitet Harper die Realität. Und diese Verschiebung der Ebenen inszeniert der Regisseur unglaublich raffiniert und scheinbar schwerelos. Im wahrsten Sinn des Wortes verliert Harper den Boden unter ihren Füßen. Wem kann sie noch trauen? Auch die täglichen Video-Chats mit ihrer engsten Freundin Riley (Gayle Rankin) sind ihr keine Hilfe. Als diese ihr Kommen ankündigt, ist es fast zu spät. Einem nächtlichen Eindringling kann sie, als er durch den Briefschlitz greift, in die Hand stechen. Doch plötzlich laufen alle Dorfbewohner mit der gleichen Handverletzung herum. Man muss diese Symbolik lieben, sonst ist man verloren.

Am Ende taucht der nackte Mann noch einmal auf – inzwischen ist er zu einem heidnischen Hirtengott mutiert: Aus seiner Haut wachsen Dornen, und seine grüner Kopf ist Pan in Reinkultur. Doch was dann passiert, lässt sich nicht mehr beschreiben. Was Alex Garland uns in seinem drastischen Finale anbietet (und zumutet), ist so ungewöhnlich, dass der Rezensent schweigt. Wir mussten bis zu diesem Zeitpunkt auf eine Splatter-Sequenz warten – doch jetzt kommt sie – und wie…

Nachdem wir uns erst einmal von der Schockstarre gelöst haben, wird so einiges klar: Die Männerwelt gebiert sich selbst. Der toxische Männlichkeitswahn ist ungebrochen – und Alex Garland zeigt dies auf ziemlich brutale Weise. Hier hat ein intelligenter Regisseur sein Thema sehr ernst genommen. Wie wichtig ihm alles war, beweist er nachdrücklich, indem er ganz nebenbei auch 1000 Jahre britische Geschichte abarbeitet. Immer wieder fährt die Kamera auf das Taufbecken der Kirche mit seinen Reliefs heidnischer Fratzen zu. Und parallel dazu erklingen paradoxerweise christliche Gesänge.

Rory Kinnear fühlte sich sichtlich wohl, gleich mehrere Figuren darzustellen – eine Fest für einen Schauspieler. Und Jessie Buckley ist eine Offenbarung! Für seinen Film – abgesehen vom nicht misszuverstehenden Titel MEN – findet Alex Garland noch ein wunderbares Symbol: den Löwenzahn. Kinder kennen ihn als „Pusteblume“. Zu Beginn fliegen die scheinbar gleichen Sporen in alle Richtungen, am Ende schließt sich der Kreis: Die Blume ist wieder kreisrund und perfekt!

MEN – WAS DICH SUCHT, WIRD DICH FINDEN ist der wohl ungewöhnlichste Film des Jahres. Eine Herausforderung für jeden Zuschauer!

Trailer

FSK noch unbekannt

Originaltitel

Men (Großbritannien 2022)

Länge

100 Minuten

Genre

Horror / Drama

Regie

Alex Garland

Drehbuch

Alex Garland

Darsteller

Jessie Buckley, Rory Kinnear, Papa Essiedu, Gayle Rankin, Sarah Twomey, Zak Rothera-Oxley, Sonoya Mizuno

Verleih

Studiocanal GmbH

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