1966 kam ein grandioses Meisterwerk in die Kinos, in dessen Mittelpunkt ein Esel stand: „Zum Beispiel Balthasar“ von Robert Bresson. Diese Leidensgeschichte eines gepeinigten Grautiers hatte uns damals alle zu Tränen gerührt – so auch den polnischen Regisseur Jerzy Skolimowski. Jetzt nahm er den Bresson-Film zum Vorbild für sein ungewöhnliches Melodram EO, das vor wenigen Wochen den in Hamburg vergebenen European University Film Award gewann. Eine Jury von 25 Studentinnen und Studenten hatte sich für diesen Film entschieden.
Auch in EO steht ein Esel im Mittelpunkt. Wir erleben die schmerzhafte Passion einer geschundenen Seele. Zu Beginn ist das Tier noch glücklich: Es lebt in einem polnischen Wanderzirkus, und seine Dresseurin liebt Eo über alles. Doch militante Umweltschützer fordern einen tierfreien Zirkus, und der Esel landet bei einem Schrotthändler. Seine weiteren Stationen: ein Tierheim, eine Abdeckerei und eine Fußballmannschaft, die ihn als Maskottchen zweckentfremdet. Dummerweise wird er vom gegnerischen Team halbtot geprügelt. In einem Tiertransporter ist er auf dem Weg nach Italien, um aus ihm Salami zu machen. Doch der Fahrer legt sich mit der falschen Anhalterin an – und endet mit durchgeschnittener Kehle. Ein Italiener mit leerem Tank erbarmt sich des Tieres und nimmt ihn mit auf den vornehmen Landsitz seiner Mutter (!: Isabelle Huppert). Der junge Mann entpuppt sich als ehemaliger Priester, der sein ganzes Geld in Spielkasinos verloren hat. Auch hier fühlt sich Eo nicht wohl und findet den richtigen Weg ins Freie. Am Ende landet er auf einer Weide inmitten vieler Pferde…
Jerzy Skolimowskis Film fehlt die Strenge und Traurigkeit des Bresson-Originals. Viele Episoden reihen sich scheinbar beliebig aneinander – da ist oft keine Struktur erkennbar. Der Regisseur fängt aber vieles durch seine ungewöhnliche Farbpalette auf. Manche Szenen sind in ein surrealistisches Rot getaucht, dessen Bedeutung lange im Unklaren bleibt. Immer wieder fährt die großartige Kamera von Michal Dymek auf die melancholischen Augen des Esels, wie er stoisch alle Schicksalsschläge erträgt.
Doch der auch beim Filmfest Hamburg gezeigte Film erfüllt leider nicht alle in ihn gesetzten Erwartungen: Ich hätte ihm etwas mehr Biss und und einen Hauch von Poesie gewünscht. Da wirkt doch vieles sehr nüchtern…
EO (Polen 2022)
88 Minuten
Drama
Jerzy Skolimowski
Ewa Piaskowska, Jerzy Skolimowski
Sandra Drzymalska, Lorenzo Zurzolo, Mateusz Kosciukiewicz, Isabelle Huppert
Rapid Eye Movies HE GmbH