Gerade erst musste der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof aus seiner Heimat fliehen – jetzt kommt sein eindrucksvolles Werk DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS in unsere Kinos.
Der Familienvater Iman (Misagh Zareh) wurde gerade erst zum Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht in Teheran befördert. Doch nach dem Tod der jungen Frau Mahsa Amini, die nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei im Krankenhaus verstarb, ergreift eine riesige Protestbewegung die Straßen des Landes. Obwohl die Demonstrationen zunehmen und die Regierung immer härtere Maßnahmen ergreift, entscheidet sich Iman für die Seite des Regimes. Das bringt das Gleichgewicht innerhalb der Familie ins Wanken, denn während der strenggläubige Familienvater mit den psychischen Belastungen des neuen Jobs zu kämpfen hat, sind seine Töchter Rezvan (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki) von den Ereignissen schockiert. Seine Frau Najmeh (Soheila Golestani) versucht verzweifelt, die Familie irgendwie zusammenzuhalten. Doch dann ist Imans Dienstwaffe plötzlich verschwunden, und sein Verdacht fällt auf seine eigene Familie…
Mohammad Rasoulof zählt ohne Zweifel zu den wichtigsten Stimmen des iranischen Kinos. Ob „Manuscripts Don’t Burn“, „A Man of Integrity“ oder zuletzt „Doch das Böse gibt es nicht“, stets ging es Rasoulof darum, die Absurditäten eines autoritären Systems zu kritisieren. Bislang erzählte der Regisseur seine Geschichten stets durch Metaphern, die tief in der iranischen Literatur verankert sind, um eine gewisse Selbstzensur vorzunehmen und Probleme mit der Zensurbehörde möglichst klein zu halten. Doch in DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS ist Rasoulof zum ersten Mal überraschend direkt. Ihm wurde klar, so Rasoulof in einem Interview (s.u.), das wir beim Filmfest Hamburg geführt haben, dass er diese Erzählform nur aus Angst vor dem Regime gewählt habe. „Deshalb habe ich mich entschieden, dass ich ab sofort so direkt wie möglich sein möchte. So habe ich auch die Furcht hinter mir gelassen. Ich arbeite zwar immer noch mit Metaphern, aber nur noch aus erzählerischen oder filmischen Gründen, nicht mehr aus Angst vor Zensur.“
Nachdem ihn das Regime wegen „Propaganda gegen den Staat“ ins Gefängnis steckte, kam es zu einer schicksalhaften Begegnung, die DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS inspiriert hat. Der entscheidende Ausgangspunkt für den Film war, dass eines Tages ein politischer Häftling zu ihm und seinen Mithäftlingen in die Zelle verlegt wurde. Weil er sich weigerte, Essen zu sich zu nehmen, ging es ihm Tag für Tag schlechter. So lag er schließlich nur noch auf dem Boden herum. Und weil es ihm eben so schlecht ging, kamen immer wieder Mitarbeiter der Behörden, um sich die Situation anzusehen – und einer von ihnen schenkte Rasoulof heimlich einen Stift. Er erklärte ihm, dass er seinen Job verachte und das seine Familie ihn täglich fragt, warum er weiter in diesem Bereich arbeitet. Jeden Tag, wenn er zur Arbeit geht und das Gefängnis betritt, fragt er sich selbst, wann er sich darin wohl erhängen wird, weil er sein Leben und seinen Job einfach so sehr hasst.
Der titelgebende Heilige Feigenbaum (Ficus Religiosa) ist ein Baum mit einem ungewöhnlichen Lebenszyklus. Seine Samen, die in Vogelkot enthalten sind, fallen auf andere Bäume. Luftwurzeln bilden sich und wachsen bis zum Boden. Dann wickeln sich die Zweige um den Wirtsbaum und erdrosseln ihn. Schließlich steht die heilige Feige von allein. Das ist natürlich als Metapher zu sehen, denn so wie der Baum für die Feige zum Nährboden wird, so bereitet das iranische System auch den Boden für den Widerstand. Für Rasoulof bedeutet das auch, dass man, egal wann im Leben, immer Hoffnung finden kann.
Mit DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS liefert uns Mohammad Rasoulof einen tiefen Einblick, wie das Unrechtsregime in Teheran mit allen Mitteln versucht, seine Macht zu erhalten. Die Paranoia kriecht dabei in jede noch so kleine Pore und sorgt dafür, dass man irgendwann nicht mehr weiß, wem man noch glauben oder trauen darf. Der Film zeigt einen innerlich zerrissenen Mann, der auf der einen Seite mit dem System hadert, der ihm auf der anderen Seite aber auch nahezu blind vertraut. Seine Beweggründe können wir nur erahnen. Sei es aus Abhängigkeit zum Regime oder weil er keine andere Wahl sieht. In einer Schlüsselszene verteidigt Iman seine Haltung, doch als Begründung liefert er nur ein „Ich muss es doch wohl besser wissen“, was seine Töchter verneinen – schließlich kenne er das System lediglich von innen, nicht aber von außen.
Der Dreh zu DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS erwies sich bereits als äußerst gefährlich. Schließlich musste man irgendwie für die Sicherheit der Crew sorgen. In diesem Fall gelang das durch eine sehr kleine Gruppe und ein minimales Equipment, das wiederum durch den erfahrenen Kameramann Pooyan Aghababaei ausgeglichen wurde. Und in der Tat wirkt der Film, als sei er mit den besten Kameras der Welt aufgenommen worden.
Als DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS in den Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes eingeladen wurde, versuchte das iranische Regime, dies in letzter Sekunde zu verhindern. Bei einer Hausdurchsuchung wurden sämtliche Arbeitsmittel beschlagnahmt, doch der Film war längst in Sicherheit. So griff der Versuch, Rasoulof und sein Team einzuschüchtern, ins Leere. Er führte aber auch zur eingangs erwähnten Flucht von Rasoulof und seinem Team.
DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS ist ein zeitlos aktueller Film über die Missstände in einem System, das sich nur durch Gewalt gegen das eigene Volk an der Macht halten kann. Kraftvoll und intensiv erzählt Mohammad Rasoulof eine Geschichte, über die man noch lange reden wird.
Beim Filmfest Hamburg stand mir der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof Rede und Antwort zu seinem Film DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS. Wir sprachen über die Entstehung des Films, seine Flucht aus dem Iran und wie er sich jetzt in seiner neuen Heimat Hamburg fühlt. Ein besonderer Dank gilt an seine Tochter Baran Rasouluf, die freundlicherweise übersetzt hat.
The Seed of the Sacred Fig (Deutschland / Frankreich / Iran 2024)
167 Minuten
Drama
Mohammad Rasoulof
Mohammad Rasoulof
Pooyan Aghababaei
Misagh Zareh, Soheila Golestani, Mahsa Rostami, Setareh Maleki, Niousha Akhshi, Reza Akhlaghi, Shiva Ordooei, Amineh Arani
Alamode Filmdistribution OHG