Die Mittagsfrau

28.09.2023

Ein deutsches Leben über fünf Jahrzehnte in nur 142 Minuten abhandeln zu wollen – das verlangt viel Mut und Ehrgeiz. Die österreichische Regisseurin Barbara Albert hat mit DIE MITTAGSFRAU den gleichnamigen Bestsellerroman von Julia Franck verfilmt und auch das Drehbuch gemeinsam mit ihrer Co-Autorin Meike Hauck verfasst. Dass sich dabei in der Erzählhaltung so manche Lücken auftun und viele Personen eher holzschnittartig entworfen sind, ist zu verschmerzen. Denn getragen wird das Melodram von einer überragenden Mala Emde in der Titelrolle.

Die 1910er-Jahre bis in das Nachkriegsdeutschland: das Ende des Kaiserreichs, der verlorene Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik mit den „goldenen“ 20er-Jahren, das Dritte Reich und die parallele Entwicklung der beiden deutschen Staaten ab 1949. Daraus hätte man auch eine mehrteilige TV-Serie machen können. Barbara Albert verzichtet darauf, uns Zuschauern eine Geschichtslektion zu erteilen. Dennoch wirken manche Szenen wir im Schnelldurchlauf gedreht. Anders als im Roman bietet uns die Regisseurin eine raffinierte Rahmenhandlung, deren Bedeutung bis zum Schluss im Dunkeln bleibt. Zu Beginn wird dabei die titelgebende heimische Sage der „Mittagsfrau“ erzählt: Wenn man ihr in der Mittagshitze auf dem Feld begegnet, müsse man mit ihr reden, sonst werde man verrückt.

Mitte der 1950er-Jahre fährt Helene (Mala Emde) mit ihrem Auto durch sonnendurchflutete Felder irgendwo in der DDR-Provinz. Auf einem Bauernhof angekommen, wird sie von einem Jungen, der sich in der Scheune versteckt hat, beobachtet. Mit dem Bauern führt sie ein ausführliches Gespräch, deren Sinn lange unklar bleibt. Und dann setzt die Rückblende ein…

Als Kind wächst Helene (Helene Pieske) mit ihrer Schwester Martha (Maria Matschke-Engel) im provinziellen Bautzen auf. Ständig muss sie Martha vor ihrer psychisch kranken Mutter Selma (Eli Wasserscheid), die zu Wutausbrüchen neigt, schützen. Der Grund: Selmas Mann ist immer noch nicht aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt. Als Selma die Wohnung abfackelt und in die Psychiatrie eingewiesen wird, ziehen Helene (jetzt: Mala Emde) und Martha (Liliane Amuat) zu ihrer freizügigen Tante Fanny (Fabienne Elaine Hollwege) nach Berlin, wo sie das wilde Leben zwischen Charleston und Drogen kennenlernen. Helene will Medizin studieren, muss aber erst ihr Abitur nachholen. Bis dahin jobbt sie bei einem Apotheker und versorgt illegal Tante und Schwester mit Kokain. Bei einer ihrer Nachtschichten lernt sie den unbeholfenen Literaturstudenten Karl (Thomas Prenn) kennen, verliebt sich in ihn und zieht in sein Mansardenzimmer. Doch das Glück hält nicht lange vor: Bei einer politischen Kundgebung vor dem Reichstag wird Karl von SA-Leuten erschlagen.

Jahre später arbeitet Helene als Krankenschwester in einer Klinik. Dort wird sie von SS-Mann Wilhelm (Max von der Groeben) umgarnt, der ihr anbietet, sie beim Besuch ihrer Mutter im Irrenhaus zu begleiten. Dort muss er erfahren, dass Selma Jüdin ist. Wilhelm schlägt Helene einen Deal vor: Wenn sie ihn heiratet, will er ihr einen falschen Pass mit dem neuen Namen Alice besorgen. Nach langem Zögern willigt Helene ein und zieht mit ihrem Mann in eine kleine, schäbige Wohnung in Stettin. Doch schon in der Hochzeitsnacht hängt der Haussegen schief: Der Nazi-Spießer muss erkennen, dass Helene keine Jungfrau mehr ist. Auch der bald geborene Sohn Peter geht Wilhelm als plärrendes Baby tierisch auf den Keks.

Jahre später: Helene hat den Zweiten Weltkrieg überlebt. Um ihren ungeliebten Sohn loszuwerden, trifft sie eine folgenschwere Entscheidung. Diese Szene ist für uns alle ein Schock – erklärt aber auch den Beginn des Films…

Barbara Albert musste in DIE MITTAGSFRAU mit einem begrenzten Budget auskommen. Dieses Thema verlangte nach großem Ausstattungskino, das aber fehlt – trotz der 142 Minuten. Vieles wird nur schemenhaft angedeutet, viele Szenen spielen aus Kostengründen in Innenräumen, das „wilde“ Berlin wirkt visuell eher mickerig. Schade! Als epischer Film hätte DIE MITTAGSFRAU ein Kinoereignis werden können – auch dank Mala Emde. Was bleibt, ist leider nur ein netter Versuch!

Trailer

ab16

Originaltitel

Die Mittagsfrau (Deutschland 2023)

Länge

142 Minuten

Genre

Drama

Regie

Barbara Albert

Drehbuch

Meike Hauck, Barbara Albert, nach der gleichnamigen Bestsellervorlage von Julia Franck

Darsteller

Mala Emde, Max von der Groeben, Thomas Prenn, Liliane Amuat, Fabienne Elaine Hollwege, Laura Louisa Garde, Eli Wasserscheid

Verleih

Wild Bunch Germany GmbH

Filmwebsite

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