Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes

16.11.2023

Mit den Geniestreichen „Mit der Faust in der Tasche“ (1965) und „China ist nahe“ (1967) tauchte der italienische Regisseur Marco Bellocchio wie aus dem Nichts im Weltkino auf. Das ist lange her – und noch immer ist Bellocchio (Jahrgang 1939) dabei. Mit dem Mafia-Melodram „Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“ hatte er uns 2019 alle überrascht. Jetzt liefert er mit DIE BOLOGNA-ENTFÜHRUNG – GERAUBT IM NAMEN DES PAPSTES ein wunderbares Alterswerk ab. Und das ist genauso passiert – damals in Bologna im Jahr 1858. Auf den ersten Blick sieht dies alles extrem antiquiert aus – doch was sich die katholische Kirche dabei erlaubt hatte, bleibt eine Schande. Bis heute!

Im Auftrag von Papst Pius IX. (Paolo Pierobon) dringen Soldaten in das Haus der jüdischen Familie Mortara in Bologna ein. Sie erheben einen Anspruch darauf, den siebenjährigen Edgardo mitzunehmen. Angeblich wurde er als Säugling ohne das Wissen seiner Eltern von seiner Amme heimlich getauft – also darf er nach katholischem Recht nicht in einem jüdischen Haushalt aufwachsen. Die Soldaten entführen das Kind – und die Eltern Mamolo (Fausto Russo Alesi) und Marianna (Barbara Ronchi) müssen hilflos zusehen. Der Papst selbst nimmt Edgardo in Rom unter seine Obhut und schickt ihn in ein katholisches Internat. Die Eltern versuchen alles, um ihren Sohn zurückzuholen – Eingaben, Prozesse, Besuch beim Papst. Doch nichts hat Erfolg.

Jahre vergehen: Als Erwachsener hat Edgardo (Leonardo Maltese) das katholische Gedankengut völlig verinnerlicht – eine Rückkehr ins Elternhaus ist für ihn unvorstellbar geworden. Schon mit 21 Jahren wird er zum Priester geweiht und stirbt 1940 im Alter von 88 Jahren im belgischen Lüttich.

DIE BOLOGNA-ENTFÜHRUNG – GERAUBT IM NAMEN DES PAPSTES ist Marco Bellocchios schonungslose Abrechnung mit der katholischen Kirche. Hier hält ein Regisseur der Religion seines Landes den Spiegel vor. Warum durfte das im Namen Gottes damals genauso ablaufen?

Der Film behandelt nicht unbedingt ein Thema, das uns alle unter den Nägeln brennt. Doch wie Bellocchio in ruhigen Bildern und elegischen Tableaus diese Schande inszeniert, ist einzigartig. Ich hoffe, jeder Zuschauer verlässt am Ende voller Zorn den Kinosaal – egal, ob er religiös oder atheistisch fixiert ist. Die Handlung ist eigentlich ein „Nichts“ – doch ich möchte keine der 134 Minuten missen.

Trailer

Im Rahmen der Berichterstattung
ab12

Originaltitel

Kidnapped (Italien / Frankreich / Deutschland 2023)

Länge

134 Minuten

Genre

Drama

Regie

Marco Bellocchio

Drehbuch

Marco Bellocchio, Susanna Nicciarelli, Daniela Ceselli.

Darsteller

Paolo Pierobon, Fausto Russo Alesi, Barbara Ronchi, Enea Sala, Leonardo Maltese, Filippo Timi, Francesco Giufuni

Verleih

Pandora Film GmbH & Co. Verleih KG

Filmwebsite

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