Der Film der Woche

Was tun

03.03.2022

Wenn wir von einem Leid in einem weit entfernten Land hören, sind wir dann überhaupt in der Lage, als einzelner Mensch etwas zu verändern? Dem geht der Dokumentarfilmer Michael Kranz in seinem bewegenden Werk WAS TUN nach und so könnte man den Filmtitel durchaus mit einem Fragezeichen versehen.

2011 erschien der Dokumentarfilm „Whores‘ Glory“ von Michael Glawogger, ein cineastisches Triptychon über Prostitution in Mexico, Thailand und Bangladesch. Darin enthalten ist eine Szene, in der ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen in einem roten Sari auf einem schäbigen Bett sitzt, inne hält und das Interview unterbricht: „Gibt es keinen anderen Weg für uns Frauen als den des Leides? Gibt es überhaupt einen Weg? Wer kann mir diese Fragen beantworten?“

Als Kranz den Film ein paar Jahre später sieht, lässt ihn diese Frage nicht mehr los. Doch was kann man selbst gegen diese Ungerechtigkeit tun? Kranz befragt diverse Freunde und Experten, ja sogar die Zeugen Jehovas, die plötzlich und unerwartet bei ihm vor der Tür stehen. Die Antwort ist fast immer identisch: nichts. „Man möchte doch nicht auf dem hohen Ross dort in das Bordell marschieren, und den edlen, übermächtigen Ritter spielen“, so einer der Befragten. Doch Kranz lässt sie Frage nicht mehr los und so entscheidet er sich dazu, es wenigstens zu versuchen.

Angekommen in Bangladesch macht er sich auf die Suche nach dem Mädchen und trifft auf Menschen, die allen Widrigkeiten zum Trotz ihren Lebensmut nicht verloren haben und alles daran setzen, die Hoffnung auf eine bessere Welt Wirklichkeit werden zu lassen. So wie der kleine Redoy, der im Bordell lebt und unter dem Bett schläft, in dem seine Schwester ihre Freier empfangen muss. Oder Hafeza, die gerade erst vor zehn Tagen in das Bordell verschleppt wurde, gezeichnet von den Misshandlungen ihrer „Madam“, die mit allen Mitteln versucht, ihren Willen zu brechen. Es gelingt ihm tatsächlich, sie aus den Fängen ihrer Zuhälter zu befreien, doch dann landet sie unweigerlich im staatlichen Heim für Mädchen, dass sich als Gefängnis entpuppt, aus dem die Mädchen nur herauskommen, wenn ein Familienangehöriger sie abholt. Das geschieht jedoch in den wenigsten Fällen, da die Familien nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollen.

Die essayistische und zurückhaltende Erzählart von WAS TUN macht diesen Film so besonders. Die Kamera, immer dicht dran an den Menschen, zeigt uns eine unbekannte Welt, die jegliche Moral verloren zu haben scheint. Doch Kranz lässt sich nicht unterkriegen, bleibt an der Geschichte dran. Er stellt sich aber auch nicht in den Mittelpunkt, was die gesamte Geschichte noch sympathischer macht. Als er auf ein Ehepaar trifft, das ehrenamtlich ein Heim für Jungen betreibt, die sie aus solchen Institutionen gerettet haben, veröffentlicht Kranz kurzerhand auf seinem privaten Facebook-Profil einen Hilferuf, der tatsächlich zu mehr als 700 Euro Spenden führt. Auf den ersten Blick erscheint das nicht viel, doch hier führt es dazu, dass ein weiteres Gebäude angemietet und als Heim ausgestattet werden kann.

Kranz gelingt es sogar, einen der Männer vor die Kamera zu holen, die junge Mädchen ansprechen und sie mit falschen Versprechen in die Bordelle locken – eine der wohl schockierendsten Szenen des FIlms.

Die Suche nach dem Mädchen aus Glawoggers Film gerät dabei schon fast zur Nebensache, bis sich plötzlich und völlig unerwartet eine neue Spur aufzeigt.

Mit WAS TUN gelingt es Kranz auf eine eindringliche Art und Weise, zu zeigen, dass ein einzelner Mensch sehr wohl etwas bewegen kann, wenn er es wenigstens versucht. Und so wird aus dem Fragezeichen ein Ausrufezeichen. Ein sehr deutliches Ausrufezeichen.

Trailer

FSK noch unbekannt

Originaltitel

Was tun (Deutschland 2020)

Länge

73 Minuten

Genre

Dokumentation

Regie

Michael Kranz

Drehbuch

Michael Kranz

Verleih

Filmperlen Filmverleih

Filmwebsite

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