Der Film der Woche

The Ballad of Wallis Island

10.07.2025

In seinem Film THE BALLAD OF WALLIS ISLAND lässt Regisseur James Griffiths Vergangenheit und Realität aufeinanderprallen, umschmeichelt von wundervoller Folk-Musik…

Das Leben von Charles Heath (Tim Key) auf der der walisischen Küste vorgelagerten Insel Wallis Island verläuft eher ruhig. Der gute Mann, der sich seit seinem Lottogewinn um Geld keine Sorgen mehr machen muss, lebt in seinem alten Haus, und die wenigen menschlichen Interaktionen beschränken sich auf kurze Gespräche mit der örtlichen Ladenbesitzerin Amanda (Sian Clifford). Die meiste Zeit verbringt Charles damit, alte Folk-Platten zu hören und in Erinnerungen zu schwelgen. Besonders das Duo McGwyer Mortimer hat es ihm angetan, allerdings haben sich die beiden schon vor längerer Zeit getrennt. Doch Charles hat eine irrwitzige Idee: Er hat beide Künstler für ein Privatkonzert auf der Insel gebucht. Als erstes erscheint Herb McGwyer (Tim Key) auf der Insel und ist verwundert, dass Charles offenbar der einzige Gast beim geplanten Gig am Strand sein wird. Als dann jedoch seine Ex-Partnerin (und Ex-Frau) Nell Mortimer (Carey Mulligan) erscheint, kommt in ihm langsam ein wenig Panik hoch. Seit der Trennung vor neun Jahren hatten beide keinerlei Kontakt, und so wusste Herb auch nicht, dass Nell inzwischen wieder geheiratet hat – und ihren Mann Michael (Akemnji Ndifornyen) natürlich dabei hat. Verletzte Gefühle und die Erinnerung an vergangene Zeiten fordern ihren Tribut, während Charles verzweifelt versucht, den lang ersehnten Auftritt zu retten. Irgendwann müssen alle erkennen, dass Harmonie sowohl in der Musik als auch im echten Leben stets den Ton angeben sollte…

Wer kleine, feine Geschichten mag und auch der Folk-Musik nicht abgeneigt ist, der sollte sich THE BALLAD OF WALLIS ISLAND auf gar keinen Fall entgehen lassen. Regisseur James Griffiths ist hier ein wundervoller Film gelungen, der mit seinen skurrilen Figuren und der herzerwärmenden Geschichte überzeugt. Geschrieben haben die Geschichte Tim Key und Tom Basden, die zugleich die Hauptrollen übernommen haben. Dass die beiden sich das Ganze auf den Leib geschrieben haben, wird im Laufe des Films immer wieder deutlich, denn die Figurenzeichnung ist wirklich exzellent gelungen. Kein Wunder, dass das Filmfest München in diesem Jahr THE BALLAD OF WALLIS ISLAND als Eröffnungsfilm ausgewählt hat.

Die beiden Drehbuchautoren und Hauptdarsteller stehen sich sowohl beruflich als auch privat sehr nah – und haben sich schon immer gegenseitig unterstützt. Ihre gemeinsame Karriere nahm in der alternativen Theaterszene der früheren 2000er-Jahre ihren Anfang, als sie als Duo unter dem Namen „Freezel“ auftraten. Seitdem haben sie es zur Gewohnheit gemacht, in den Projekten des jeweils anderen aufzutauchen und ihren trockenen Humor über die Jahre hinweg zu verfeinern. Zur gleichen Zeit drehten die beiden auch ihre ersten Kurzfilme, womit sich der Kreis schließt. Unter dem Titel „The One and Only Herb McGwyer Plays Wallis Island“ schrieb das Duo einen Kurzfilm, bei dem bereits James Griffiths Regie führte. Als die Welt durch Covid aus der Bahn geworfen wurde, erinnerten sich beide daran und so entstand das Drehbuch zu THE BALLAD OF WALLIS ISLAND. Man hatte ja plötzlich Zeit.

Langjährige Missverständnisse, verlorene Liebe und neue Hoffnung – all das hat vielleicht jeder von uns schon mal auf die eine oder andere Art selbst erlebt. Ich habe mich zumindest immer wieder dabei ertappt, die Geschehnisse des Films auf eigene Erlebnisse zu übertragen.

In THE BALLAD OF WALLIS ISLAND erleben wir den exzentrischen Charles als eine Art Nervensäge. Der Weg vom Kopf bis zum Mund ist bei ihm besonders kurz geraten, und so manches Mal würde man ihm gerne raten, doch erst einmal kräftig durchzuatmen, bevor er wieder eine unbedachte Aussage tätigt. Doch so ist die Figur nun mal angelegt. Dass wir ihn später umso mehr ins Herz schließen, hätte ich eingangs überhaupt nicht erwartet. Doch der Film schafft es, mit unserer Erwartungshaltung zu spielen und uns immer wieder zu überraschen.

Auch Carey Mulligan spielt wie immer bezaubernd. Wer sie jemals hat singen hören – man denke nur an ihre Darbietung von „New York, New York“ im Film „Shame“ mit Michael Fassbender – der wartet in THE BALLAD OF WALLIS ISLAND natürlich gebannt auf ihren Einsatz. Natürlich enttäuscht Mulligan auch dieses Mal nicht, ich hätte mir aber viel mehr von ihr gewünscht. Man könnte meinen, dass sie ein wenig so wirkt wie der große Star, den man braucht, um einem kleinen, ruhigen Film Sichtbarkeit zu geben, den man aber aufgrund des Budgets nur für einen kleinen Teil der Handlung buchen kann. Dass sie trotzdem nicht einmal ansatzweise wie ein Fremdkörper wirkt, ist dem guten Drehbuch und ihrer schauspielerischen Leistung zuzuschreiben.

Für die Musik des Films ist im Übrigen Tom Basden selbst verantwortlich. Lange vor dem Casting begann er damit, seinen Fokus auf das Schreiben der McGwyer-Mortimer-Titel zu legen. Stolze 25 Songs sind dabei entstanden – und das für ein fiktives Folk-Duo, das Basden beschreibt als „eine Band, die man entweder liebt, oder von der man noch nie etwas gehört hat“. Trotzdem fühlen sich die Songs im Film an, als wären sie schon immer da gewesen. Und sicherlich ist die Qualität des Songbooks auch ein wesentlicher Faktor für die Glaubwürdigkeit des Films.

THE BALLAD OF WALLIS ISLAND lebt von seinen cleveren Dialogen, in denen so unfassbar viel Tiefe und Wahrheit liegt. Und auch wenn die Liebesbeziehung ein zentrales Element des Films ist, ist es dem Drehbuch hoch anzurechnen, dass es sich hier nicht um eine konventionelle Romanze handelt. Mit seiner Leichtigkeit, seiner wundervollen Musik und seinen glaubwürdigen Figuren ist THE BALLAD OF WALLIS ISLAND ein Film, der mit seiner Botschaft noch lange nachhallt.

Trailer

Im Rahmen der Berichterstattung
ab6

Originaltitel

The Ballad of Wallis Island (Großbritannien 2024)

Länge

100 Minuten

Genre

Komödie

Regie

James Griffiths

Drehbuch

Tom Basden, Tim Key

Kamera / Director of Photography (DOP)

G. Magni Ágústsson

Darsteller

Tom Basden, Tim Key, Sian Clifford, Carey Mulligan, Akemnji Ndifornyen

Verleih

Universal Pictures International Germany GmbH

Filmwebsite

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