Der Film der Woche

Tár

02.03.2023

Unglaubliche 16 (!) Jahre ist es her, dass mit „Little Children“ der letzte Film von Todd Field in die Kinos kam. Warum brauchte er so lange? Doch das Warten hat sich gelohnt: TÁR ist ein absolutes Meisterwerk. Natürlich wird es der Film schwer haben: 159 Minuten über klassische Musik! Da wird leider so mancher Filmfan sagen: ohne mich! Schade!

Lydia Tár (Cate Blanchett) ist eine begnadete Musikerin, die sich in der Männerwelt durchgesetzt hat. In einem New Yorker Interview vor Live-Publikum erläutert sie ihr Konzept, als Dozentin der renommierten Juilliard School macht sie am nächsten Tag einen überforderten und arroganten Studenten zur Sau. Dann reist sie zurück nach Berlin, wo sie seit sieben Jahren die erste weibliche Chefdirigentin der Philharmoniker ist. Gemeinsam mit ihrer Ehefrau, Konzertmeisterin Sharon Goodnow (Nina Hoss), und der Adoptivtochter Petra (Mila Bogojevic) lebt sie in einer feudalen Berliner Wohnung. Zum Abschluss einer Gesamtedition der Deutschen Grammophon aller Mahler-Sinfonien will sie bei einem Live-Konzert dessen 5. Sinfonie aufführen. Und jetzt beginnt die aufreibende Probenarbeit.

Doch langsam zeigen sich erste Risse im Alltag von Lydia Tár. Sie hört nachts merkwürdige Geräusche: In einer Abstellkammer tickt ein Metronom – wer hat es dort hingestellt? Ihre Assistentin Francesca Lentini (Noémie Merlant) verlangt einen Karriereschub, ihr Konkurrent Eliot Kaplan (Mark Strong) will ihren Job – und Petra wird in der Schule gemobbt. Auch Sharon fühlt sich in ihrer Rolle nicht mehr wohl – zumal die neue, hochbegabte Cellistin Olga Metkina (Sophie Kauer) ihren Platz einzunehmen scheint.

Und hier schleichen sich allmählich Horrorelemente in Todd Fields Regiestil ein. Als Lydia Olga nach Hause fährt und ihr ein Stofftier hinterherträgt, ist diese in einem verkommenen Hinterhof plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Da die 5. Mahler-Sinfonie mit ihren 70 Minuten nicht abendfüllend ist, entscheidet sich Lydia als zweites Stück das Cellokonzert von Elgar aufführen zu lassen – mit Olga als Solistin, obwohl die Cellogruppe noch nicht ihr Okay gegeben hat. So streng sind die Sitten!

Am Ende ist Lydia nervlich so zerrüttet, dass sie nicht mehr dirigieren kann und die Ehe mit Sharon gescheitert ist. Sie zieht sich in ihr New Yorker Elternhaus zurück und landet – in einer faszinierenden surrealistischen Szene – irgendwo in Ostasien. Diesen Schluss muss man erst einmal verkraften…

Todd Field lässt sich viel Zeit, die bizarren Wendungen der verschlungenen Handlung zu entwickeln. Und immer wieder sehen wir Cate Blanchett, die mit Mahlers Partitur kämpft. Ihr Schlüsselsatz: „Vergessen Sie Visconti!“ Schließlich war es der italienische Starregisseur, der für seinen Film „Tod in Venedig“ das Adagietto aus Mahlers 5. Sinfonie wieder populär gemacht hatte.

TÁR ist das Psychogramm einer gescheiterten Frau, die an ihrem Privat- und Berufsleben verzweifelt. Auch die klassische Musik gibt ihr am Ende keinen Halt mehr. Der Oscar dürfte Cate Blanchett für diese Rolle sicher sein. Wer es sich zutraut, den Film in der englischen Originalfassung anzuschauen, wird reich belohnt: So viele deutsche Sätze hat die australische Schauspielerin noch nie gesprochen.

Trailer

Im Rahmen der Berichterstattung
ab12

Originaltitel

Tár (USA 2022)

Länge

159 Minuten

Genre

Drama

Regie

Todd Field

Drehbuch

Todd Field

Darsteller

Cate Blanchett, Nina Hoss, Noémie Merlant, Adam Gopnik, Julian Glover, Mark Strong, Sophie Kauer, Allan Corduner, Zethphan Smith-Gneist, Mila Bogojevic, Marie-Lou Sellem, Sydney Lemmon, Leonard Bernstein, Fabian Dirr, Johann von Bülow, Dorothea Plans Casal, Frank Röth, Peter Hering, André Röhner, Lee Sellars

Verleih

Universal Pictures International Germany GmbH

Filmwebsite

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