Ein 170 Minuten langes Bauern- und Fischer-Drama aus dem 19. Jahrhundert, das auf einer abgelegenen Inselgruppe im Nordosten Europas spielt – wollen dass Zuschauer außerhalb Finnlands und Schwedens wirklich im Kino sehen? Ja, unbedingt! STORMSKÄRS MAJA – VON LIEBE GETRAGEN, VON STÜRMEN GEPRÄGT der finnischen Regisseurin Tiina Lymi zählt zu den cineastischen Höhepunkten dieses Jahres.
Schauplatz der Handlung ist das Åland-Archipel, das am Eingang zum Bottnischen Meerbusen in der Ostsee zwischen Schweden und dem finnischen Festland liegt. Die Inselgruppe gehört politisch zu Finnland, ist aber weitgehend autonom. Einzige Amtssprache ist schwedisch. Das Archipel besteht aus mehr als 6700 Inseln und Schären, von denen nur rund 60 bewohnt sind. Doch in der Zeit, in der STORMSKÄRS MAJA spielt, gehörte ganz Finnland – also auch Åland – noch zum russischen Zarenreich.
Åland, Mitte des 19. Jahrhunderts: Die junge Maja (Amanda Jansson) wächst als Tochter einer großen, aber armen Bauernfamilie wohlbehütet auf. Sie himmelt heimlich den Dorfschönen an, wird aber von ihrem Vater mit dem stillen und bodenständigen Fischer Janne (Linus Troedsson) verheiratet. Es gilt, ein Maul weniger zu stopfen. Als Drittgeborener sieht Janne auf seiner Insel keine Zukunft und kauft auf Kredit eine unbewohnte Schäre am Rande des Archipels: Stormskär.
Zähneknirschend gehorcht Maja ihrem Vater und macht sich mit ihrem ungeliebten Ehemann auf die lange Bootsreise nach Stormskär. Dort angekommen, erlebt Maja einen Schock: Das Eilland entpuppt sich als ein baumloser flacher Felsen mit einer winzigen Hütte in der Mitte. Wie will die junge Frau in dieser trostlosen, menschenfeindlichen Umgebung überleben – ohne Liebe, ohne Familie, ohne Zukunft, aber umweht von eisigen Stürmen?
Doch ein Wunder geschieht: Janne baut mit einigen Freunden ein stabiles Wohnhaus und einen Stall. Eine Kuh sorgt für die Milch, der ertragreiche Fischfang ernährt das junge Paar. Und dann entdecken Maja und Janne die Liebe. Wunderbar, wie Regisseurin Tiina Lymi dieses zarte Erblühen inszeniert. Um seiner Frau eine Freude zu machen und ihr die Welt – sprich: Zivilisation – zu zeigen, segelt Janne mit ihr aufs Festland nach Åbo. Dort wird russisch und deutsch geredet und mit Rubeln gezahlt. Maja darf sich was wünschen.
Die ersten Kinder kommen, und Maja findet immer mehr Gefallen an diesem rauen Leben auf Stormskär. Eines harten Winters macht sich Janne mit seinem ältesten Sohn auf, seine Waren zum Verkauf mit dem Schlitten und zu Fuß über die zugefrorene Ostsee in die Stadt zu bringen. Aber bevor beide zurückkommen, wird Stormskär von britischen Soldaten besetzt. Wir befinden uns mitten im Krimkrieg, in dem die Russen gegen die Franzosen und Briten kämpfen.
Wie will sich Maja gegen die feindliche Männerwelt behaupten und gleichzeitig ihre Kinder schützen? Sie entdeckt plötzlich ungeahnte Kräfte – aus der unscheinbaren Fischersfrau wird eine toughe Fighterin. Als die Soldaten die Kuh schlachten wollen, wird Maja zur Furie. Dabei hilft es ihr, dass sie inzwischen zu Lieutenant John Wilson (Desmond Eastwood) eine fast freundschaftliche Beziehung aufgebaut hat. Die Soldaten ziehen ab – und Maja wartet auf ihren Mann…
Diese bizarre Kriegsepisode – nach dem Motto: „Die Soldaten und die Schäre“ – zählt zu den Höhepunkten dieser 170 Minuten. STORMSKÄRS MAJA – VON LIEBE GETRAGEN, VON STÜRMEN GEPRÄGT ist ein filmisches Wunder: ein nicht enden wollendes Epos vom Rande der Welt und eine unfassbare Liebesgeschichte, die uns alle zu Tränen rührt. Das alles hat Tiina Lymi, die auch das Drehbuch schrieb, das auf einer Romanreihe von Anni Blomqvist basiert, in traumhaft schöne Bilder (Kamera: Rauno Ronkainen) gesetzt. Dieser Film ist reinste Poesie. Einziges Manko: Das erste Drittel ist für meinen Geschmack etwas zu langatmig geraten – erst mit der Ankunft auf der Schäre nimmt das Melodram Fahrt auf. Sei’s drum: Das Gesicht der unglaublichen schwedischen Schauspielerin Amanda Jansson werden wir nie vergessen.
Eine Woche nach „Beating Hearts“ schon wieder ein sensationeller Liebesfilm im Kino. Wir haben echt Glück! Dieses Epos verlangt viel Muße. Doch es lohnt sich! Der letzte Satz aus David Lynchs Meisterwerk „Blue Velvet“ lautet: „Es ist eine fremde, seltsame Welt.“ Das gilt auch hier.
Myrskyluodon Maija (Finnland 2023)
170 Minuten
Drama / Historie
Tiina Lymi
Tiina Lymi
Rauno Ronkainen, F.S.C.
Amanda Jansson, Linus Troedsson, Jonna Järnefelt, Tobias Zilliacus, Desmond Eastwood, Andrea Björkholm
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