Retribution

Autor: Jan-Barra Hentschel

Mit elf Jahren im Hamburger „Savoy“ bei „Ben Hur“ die Liebe zum Kino entdeckt. Dann kam mit „Blow Up“ und „Belle de Jour“ der „Arthouse-Film“ dazu. Seit 1989 ständiger Filmjournalist für diverse Medien. Jetzt fühlt er sich hier bestens aufgehoben.

Das Thema dieses Thrillers scheint die Filmemacher weltweit mächtig anzustacheln: Auf das spanische Original „Anrufer unbekannt“ von 2015 folgte ein Remake aus Südkorea und 2018 die deutsche Version „Steig. Nicht. Aus!“ von Christian Alvart mit Wotan Wilke Möhring in der Hauptrolle. Nach dem (nicht ganz ernst zu nehmenden) Motto „Aller guten Dinge sind vier“ kommt jetzt das englischsprachige Remake RETRIBUTION (zu Deutsch: Vergeltung) in unsere Kinos – als internationale Co-Produktion im Studio Babelsberg und auf den Straßen von Berlin gedreht. Kein Geringerer als der nordirische Superstar Liam Neeson übernahm die Hauptrolle. Inszeniert wurde RETRIBUTION von Nimród Antal, Sohn ungarischer Eltern, der 2003 mit dem Spielfilmdebüt „Kontroll – Jeder muss bezahlen“ für Aufsehen gesorgt hatte – die Handlung spielt fast ausschließlich in der Budapester U-Bahn.

Das Geld gab wohl den Ausschlag – denn warum spielt RETRIBUTION in der gleichen Metropole wie das deutsche Remake? Was sprach z.B. gegen London? So erleben wir den in Berlin ansässigen Investmentbanker Matt Turner, der mit seiner Frau Heather (Embeth Davidtz) sowie seinen Kindern Emily (Lilly Aspell) und Zach (Jack Champion) in einer feudalen Villa residiert. Doch sein Leben ist nur noch Fassade: Seine Ehe steht kurz vor dem Aus, und sein Chef Anders Muller (Matthew Modine) macht ihm die Hölle heiß.

Als er seine beiden Kinder morgens zur Schule fährt, erhält er auf seinem Handy einen schrecklichen Anruf. Ein Mann mit verzerrter Stimme behauptet, unter Matts Sitz befände sich eine Bombe, die hoch geht, sobald einer der Insassen das Auto verlässt. Nur wenn Matt einen bestimmten Millionenbetrag überweist, werde der Erpresser die Bombe entschärfen. Eine denkwürdige Hatz durch Berlin beginnt. Als der Wagen vom Matts engstem Freund in die Luft fliegt und er selbst immer irrationaler reagiert, wird die Polizei unter der (stillschweigend akzeptierten) Führung der US-Agentin Angela Brickman (Noma Dumezweni) auf ihn aufmerksam. Diese glaubt, er habe seine Kinder entführt und die Existenz der Bombe nur vorgetäuscht…

Wer die deutsche Version „Steig. Nicht. Aus!“ noch gut in Erinnerung hat, erlebt hier kaum Überraschungen. Alvarts aufreibender Thriller war damals einer der besten Actionfilme des Jahres. Der Clou: Die von Emily Kusche genial gespielte Tochter des Helden übernahm praktisch die zweite Hauptrolle und rührte uns in einer Schlüsselszene alle zu Tränen. Doch genau diese spektakuläre Sequenz fehlt hier völlig. Schade! Die beiden Kinder spielen diesmal leider nur Statistenrollen. Es dreht sich wirklich alles um Liam Neeson! Eine Pointe am Rande: Regisseur Nimród Antal verbeugt sich offensichtlich vor Alvarts Remake, indem er Zach energische Freundin ausgerechnet von Emily Kusche (!) spielen lässt!

Bekanntlich hatte Liam Neeson nach dem Skiunfalltod (2009) seiner Frau Natasha Richardson als Reaktion fast nur noch Action-Rollen übernommen und eine neue denkwürdige Karriere gestartet. Und in diesem Ruhm sonnt er sich seitdem. Doch er ist inzwischen auch nicht mehr der Jüngste (Jahrgang 1952) – immerhin darf er seine Rolle diesmal fast nur im Sitzen bewältigen. Übrigens: Wer die deutsche Version kennt, wird von der ungewöhnlichen Pointe überrascht sein…

Berliner werden sich beschweren, dass so mancher Anschluss in den Straßenszenen nicht stimmig ist. Doch wir Nicht-Berliner sagen uns: Was soll’s? Liam Neeson ist auch hier in seinem Element – er bietet wieder einmal solide Action-Kost. Dafür lieben wir ihn! Doch eines ist sicher: Das deutsche Remake ist besser! Diesmal!

Trailer