Der Film der Woche

Oslo Stories: Träume

08.05.2025

Eine Schülerin verliebt sich in ihre Lehrerin, und der norwegische Autor und Regisseur Dag Johan Haugerud macht daraus einen Berlinale-Gewinner. Warum der Film OSLO STORIES: TRÄUME so wundervoll ist…

Johanna (Ella Øverbye) ist ein Teenager und kennt die Liebe bislang nur aus Romanen, die sie mit großem Interesse verschlingt. Eines Tages kommt die neue Lehrerin Johanne (Selome Emnetu) ins Klassenzimmer, und Johanna ist sofort schockverliebt – wohl wissend, dass eine Beziehung niemals in Frage kommen kann. Daher entscheidet sie sich, ihre Gefühle in Textform niederzuschreiben, in die sich auch Fantasien, Wünsche und Begierde mischen. Was davon wirklich wahr ist, weiß einzig und allein die Autorin der Zeilen. Realität, Liebesbekundung, Wunschtraum und sexuelles Erwachen gehen fließend ineinander über, bis sich Johanna irgendwann einen Ruck gibt und Johanne bis zu ihrem Zuhause in eine Neubausiedlung von Oslo folgt. Sie nimmt allen Mut zusammen und klingelt an der Tür…

Ein Jahr später ringt Johanna immer noch damit, dass sich Johanne von einem Tag auf den anderen nicht mehr bei ihr gemeldet und jeden Kontakt abgebrochen hat. Irgendwann fasst sie den Mut und gibt ihrer Großmutter Karin (Anne Marit Jacobsen) ihre Texte zum Lesen, eine einst erfolgreiche Schriftstellerin, die jedoch glaubt, ihr volles Potenzial nie erreicht zu haben. Sie ist begeistert von der literarischen Qualität der Texte ihrer Enkelin. Trotz ihres Versprechens, diese nicht weiterzugeben, lässt sie sie auch ihre Tochter Kristin (Ane Dahl Torp), Johannas Mutter, lesen. Diese ist erst einmal geschockt von den sexuellen Erlebnissen und befürchtet, dass Johanna Opfer eines Missbrauchs geworden ist. Also beschließt sie, sich mit Johanne zu treffen und sie damit zu konfrontieren. Karin drängt derweil darauf, die Texte ihrer langjährigen Verlegerin zu geben und sie letzten Endes zu veröffentlichen…

OSLO STORIES: TRÄUME bildet in Deutschland den Mittelpunkt der Oslo-Trilogie des Autors und Regisseurs Dag Johan Haugerud. Dabei wurde dieser Film eigentlich als letzter im Bunde veröffentlicht – seine Weltpremiere feierte er im diesjährigen Wettbewerb der Berlinale. Warum sich die Reihenfolge geändert hat, habe ich bereits in meiner Kritik zu „Oslo Stories: Liebe“ geschrieben, der seit drei Wochen in unseren Kinos zu sehen ist.

Bereits seit längerer Zeit weicht mein persönlicher Filmgeschmack zumeist stark von dem ab, was bei den Filmfestspielen von Berlin ausgezeichnet wird. Immer wieder bewirken die Gewinner bei mir lediglich ein Schulterzucken. Doch in diesem Jahr war das anders. Bei der Sichtung von OSLO STORIES: TRÄUME war ich schockverliebt in den Film, fast so wie Johanna in ihre Lehrerin. Ich hätte bei weitem nicht erwartet, dass dieser Film den Goldenen Bären gewinnen würde. Umso mehr hat es mich gefreut, als die Preisträger bekannt gegeben wurden.

Doch was macht OSLO STORIES: TRÄUME so besonders? Nun ja, es ist die Art, wie Dag Johan Haugerud seinen Film aufgebaut hat. Genau wie in „Liebe“ und „Sehnsucht“, dem Abschlussfilm, wird viel geredet. Das kann sehr schnell ermüdend sein, wenn der Redefluss einfach nicht abbrechen will. Ein Grund, warum mir „Oslo Stories: Sehnsucht“ weniger gefallen hat, denn dort drehen sich die Gespräche irgendwie im Kreis und führen meines Erachtens zu keinem Ziel. Hier ist es anders: Die Dialoge sind so wunderbar geschliffen, dass einem selbst als Literatur-Laien klar wird, wie besonders das von Johanna geschriebene Manuskript wirklich ist. Dialoge, die beinahe schon wie Musik in den Ohren klingen – so etwas ist mir im Kino schon länger nicht mehr begegnet. Da waren auf einmal sogar die unbequemen Sitze in der Uber-Eats-Arena vergessen, in der ich den Film auf der Berlinale gesehen habe.

OSLO STORIES: TRÄUME ist dann auch weniger ein Film über die Liebe, sondern vielmehr einer über den Schaffensprozess eines literarischen Werks – wie aus Gedanken lesenswerte Texte werden. Gleichzeitig gelingt es dem Film aber trotzdem, die überwältigende Kraft einer ersten Liebe in Worte zu fassen. Denn die ist meist immer verwirrend, intensiv und schicksalhaft, was für einen Teenager immense Folgen haben kann. Oftmals ist es nämlich ungewiss, ob das körperliche Ich in diesem Alter mit den überwältigenden Emotionen Schritt halten kann. Bei den Erwachsenen im Film lösen die Texte hingegen ganz andere Emotionen auf, die dazu führen, dass Mutter und Großmutter beginnen, sich über eigenen Entscheidungen im Leben Gedanken zu machen und diese zum Teil hinterfragen. Welchen Preis sind wir eigentlich bereit, für die Liebe zu bezahlen?

Doch OSLO STORIES: TRÄUME hat noch mehr zu bieten: Dag Johan Haugerud taucht seine Dialoge in wunderschöne Bilder Oslos, die von seiner Kamerafrau Cecilie Semec kongenial eingefangen werden. Während sich „Liebe“ auf die Stadt am Wasser konzentriert und uns „Sehnsucht“ auf die Dächer der Stadt führt, zeigt uns dieser Film die Verbindung zwischen dem klassischen Oslo und den beinnahe futuristisch wirkenden Neubaugebieten, die mitten in der Stadt entstanden sind. Zusätzlich wählt der Regisseur hier Treppen als wiederkehrendes Motiv der Verknüpfung. Das passt insofern, als er ja auch die verschiedenen Generationen der Familie miteinander verbindet. So erhält jeder der drei Teile trotz des einheitlichen Looks etwas Individuelles.

Am Ende bleibt eine Erkenntnis zurück: OSLO STORIES: TRÄUME ist ein Film, der noch lange nachhallt und dessen Schönheit sich vielleicht auch erst im späteren Nachgang entfaltet. In jedem Fall etabliert sich Dag Johan Haugerud als Autor und Regisseur, von dem wir mit Sicherheit wieder hören und sehen werden.

„Oslo Stories: Liebe“ ist bereits seit dem 17.04.2025 in den Kinos zu sehen, am 22.05.2025 startet dann „Oslo Stories: Sehnsucht“ als Abschluss der Trilogie in unseren Kinos.

Trailer

Im Rahmen der Berichterstattung
ab6

Originaltitel

Drømmer / Dreams (Norwegen 2024)

Länge

111 Minuten

Genre

Drama

Regie

Dag Johan Haugerud

Drehbuch

Dag Johan Haugerud

Kamera / Director of Photography (DOP)

Cecilie Semec

Darsteller

Ella Øverbye, Selome Emnetu, Ane Dahl Torp, Anne Marit Jacobsen

Verleih

Alamode Filmdistribution OHG

Filmwebsite

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