Der Film der Woche

No Sudden Move

24.06.2021

Wie die Coen-Brüder hat US-Regisseur Steven Soderbergh das besondere Talent, alte Filmgenres zu hinterfragen und mit einem ungewöhnlichen Ansatz neu zu gestalten. Diesmal hat er sich den klassischen Film Noir ausgesucht – und mit „No Sudden Move“ einen grandiosen Neo-noir-Thriller gedreht. Zu dem berühmten Noir-Klassiker „Tote schlafen fest“ (The Big Sleep) von 1946 gibt es eine herrliche Anekdote: Mitten bei den Dreharbeiten fragte Hauptdarsteller Humphrey Bogart seinen Regisseur Howard Hawks, wer denn der oder die Mörder sind. Die Handlung war derart konfus, dass niemand die Antwort wusste. Raymond Chandler, Autor der Romanvorlage, und Drehbuchautor William Faulkner wurden konsultiert – doch keiner der beiden konnte helfen.

So ähnlich geht es dem Zuschauer in „No Sudden Move“: Wer die Handlung fehlerfrei nacherzählen kann, sollte an der Kinokasse als Belohnung sein Eintrittsgeld zurückerhalten. Soderbergh und sein Drehbuchautor Ed Solomon verweigern sich bewusst der „normalen“ Kinologik – hier ist nichts, wie es scheint. Zwei Stunden lang werden wir gnadenlos ausgetrickst, dass es schon wieder Spaß macht. Auch wenn manchmal der Frust überwiegt.

Detroit 1954: Zu Anfang glaubt man, Soderbergh wollte nur ein weiteres Remake des William-Wyler-Klassikers „An einem Tag wie jeder andere“ (1955) inszenieren. Damals überfielen Bogart als Gangster und seine Kumpanen eine bürgerliche Familie, um den Mann des Hauses (Fredric March) unter Druck zu setzen. Diesmal landen die drei Kleinkriminellen Curt (Don Cheadle), Ronald (Benicio Del Toro) und Charley (Kieran Culkin) im Haus von Autoverkäufer Matt (David Harbour), um diesen zu zwingen, ihnen ein wichtiges Dokument aus seinem Tresor zu übergeben. Was für die Ganoven nach leicht verdientem Geld aussah, geht plötzlich gehörig schief. Das Dokument ist nicht im Tresor, und einer der Gangster liegt erschossen in der Küche. Der Polizei wird eine hanebüchene Geschichte aufgetischt, die aber Detective Joe Finney (Jon Hamm) nicht akzeptieren will.

Der gerade aus dem Knast entlassene Curt hat ein „Code-Buch“ des afroamerikanischen Mafia-Bosses (Bill Duke) in seinem Besitz, Biedermann Matt führt ein Doppelleben, und Ronald hat ein Verhältnis mit der Frau des lokalen Gangsterbosses (Ray Liotta). Chaos pur! Zu allem Überfluss mischt sich auch noch ein zwielichtiger Auto-Manager (Überraschungsgast Matt Damon) ein. Schließlich spielt der Film in der Motor-City Detroit.

Soderbergh hatte (fast) alle seine Freunde eingeladen mitzuspielen. Nur George Clooney und Brad Pitt sind diesmal nicht dabei. Die durchweg überzeugend agierenden Schauspielerinnen sind dagegen kaum bekannt. Das Lokalkolorit hat Soderbergh perfekt eingefangen. Der Look stimmt, das Make-up der Frauen ist wunderbar grell, Rhythmus und Timing lassen auch in den zwei Stunden nicht nach. Einziges Manko: Kameramann Peter Andrews (das ist Soderbergh selbst!) benutzte ein unnötig verzerrendes Weitwinkel-Objektiv, das irgendwann nervt.

Alfred Hitchcock erfand den Begriff des „MacGuffin“: ein scheinbar unwichtiger Gegenstand, der den Film erst in Gang setzt. Hier ist es die Erfindung eines Auto-Katalysators, für den in den 50er-Jahren die Zeit noch nicht reif war. Soderbergh hat wieder zugeschlagen. Brillantes Thriller-Kino!

Trailer

ab12

Originaltitel

No Sudden Move (USA 2021)

Länge

116 Minuten

Genre

Thriller

Regie

Steven Soderbergh

Drehbuch

Ed Solomon

Darsteller

Don Cheadle, Benicio Del Toro, David Harbour, Ray Liotta, Jon Hamm, Amy Seimetz, Brendan Fraser, Kieran Culkin, Noah Jupe, Craig „muMs“ Grant, Julia Fox, Frankie Shaw, Bill Duke

Verleih

Warner Bros. Entertainment GmbH

Filmwebsite

» zur Filmwebsite

Weitere Neustarts am 24.06.2021