Der in der Schweiz lebende kurdische Regisseur Mano Khalil hat mit seinem Film NACHBARN eigene Kindheitserinnerungen aufgegriffen und daraus ein bewegendes Melodram geschaffen, das trotz der düsteren Thematik seinen Humor nie verliert. Davon lebt das Kino!
Ein kleines syrisches Dorf in den 1980er-Jahren dicht an der türkischen Grenze. Hier lebt der junge Kurde Sero (Serhad Khaul) mit seiner Familie. Die befreundeten Nachbarn sind hebräisch sprechende Juden, die zu den letzten noch in Syrien geduldeten Israelis gehören. Sero tut sich in seinem ersten Schuljahr schwer mit der arabischen Sprache, die der kommunistisch ausgebildete Lehrer den Kindern eintrichtern will: Es gilt, Assads Weltbild der neuen Generation zu vermitteln. Als türkische Grenzsoldaten mal wieder mit ihrem Zielfernrohr herumspielen und dabei nicht aufpassen, löst sich ein Schuss, und Seros Mutter stirbt.
Gemeinsam mit seinem Vater muss Sero die Tragödie verarbeiten – sein Onkel Aram (Ismail Zagros) ist ihm dabei keine Hilfe, denn der liebt heimlich die jüdische Nachbarin Hannah (Derya Uygurlar). Doch diese Liebe hat keine Zukunft. Seros Alltag wird in dieser Sprachenvielfalt aufgerieben – oft weiß er nicht, wohin er gehört. Diese Verlorenheit setzt der Regisseur Mano Khalil mit traumwandlerischer Sicherheit um. Hier sehen wir einen Jungen zwischen allem Stühlen, der nur eines will: endlich einen Fernseher, um seine geliebten Cartoons anzuschauen. In einer einfühlsamen Nebenhandlung kämpft die energische Nachbarin Sawda (Ivan Anderson) darum, endlich schwanger zu werden – doch ihr Mann hat offenbar Ladehemmung.
Kaum zu glauben: NACHBARN wurde tatsächlich im kurdischen Teil des Irak gedreht. Die poetischen Bilder von Mano Khalil und seinem Kameramann Stéphane Kuthy können nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir hier das Ende eines Vielvölkerstaates beobachten. Mit einem lachenden und weinenden Auge – der Humor ist allgegenwärtig – sehen wir den Verfall eines Landes, das im Bürgerkrieg endet.
NACHBARN zeigt uns ein unglaubliches Kinoerlebnis, das es möglicherweise irgendwann nicht mehr geben wird: eine kleine Geschichte, die die Welt bedeuten kann. Und wir Mitteleuropäer sind wie verloren in dieser Sprachenvielfalt. Wie gut, dass es Untertitel gibt! Dieses Juwel verdient jeden Zuschauer!
Nachbarn (Schweiz / Frankreich 2021)
130 Minuten
Drama
Mano Khalil
Mano Khalil
Serhed Khalil, Jalal Altawil, Jay Abdo, Zîrek, Heval Naif, Tuna Dwek, Mazen Al Natour
barnsteiner-film