„Citizen Kane“ oder auch „There Will Be Blood“ als Bezugspunkte: Man muss in der Filmgeschichte schon sehr weit oben mit diesen denkwürdigen Meilensteinen ansetzen, um die Genialität von DER BRUTALIST zu erklären. Mit diesem überwältigenden Meisterwerk hat sich der Regisseur einen Platz im Kino-Olymp gesichert. Ein visueller, aber auch intellektueller Rausch!
Das klingt zwar ein bisschen pathetisch – doch der weltweite Erfolg gibt dem Film recht. Mit seinen unglaublichen 216 (!) Minuten ist DER BRUTALIST nichts weniger als ein modernes „Gesamtkunstwerk“ – ein Begriff, der spätestens seit Richard Wagner durch die Kulturgeschichte geistert. Das episch angelegte Drama des US-amerikanischen Regisseurs verbindet Architektur, Literatur, Politik, Genozid und Vergangenheitsbewältigung zu einem schlüssigen Ganzen, emotional verknüpft mit so großen Themen wie Liebe, Schuld, Sühne und Vergebung. Shakespeare lässt grüßen!
DER BRUTALIST erzählt die (fiktive) Geschichte des jüdisch-ungarischen Architekten László Tóth (Adrien Brody). Er hatte im Dessauer Bauhaus bei Walter Gropius studiert und erfolgreich in Budapest gearbeitet. Er überlebte das KZ Buchenwald, verlor aber in den Nachkriegswirren seine Frau Erzsébet (Felicity Jones), die dem KZ Dachau entkommen war, aus den Augen.
Der Film beginnt 1947: Aus Bremerhaven kommend erreicht László auf einem Auswandererschiff Ellis Island in New York. Nach den üblichen Formalitäten darf er zu seinem Cousin Attila (Alessandro Nivola) reisen, der in Pennsylvania ein kleines Möbelgeschäft betreibt. László bezieht im Laden eine armselige Kammer – argwöhnisch beäugt von Attilas Frau Audrey (Emma Laird). Von einem ehemaligen Kunden, Harry Lee (Joe Alwyn), dem Sohn des örtlichen Tycoons Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce), erhält Attila den Auftrag, den Lesesaal seines Vaters in eine moderne Bibliothek zu verwandeln, während dieser im Ausland weilt. Es soll eine Überraschung werden.
Mt seinen visionären Ideen kann László seinen Cousin überzeugen, und beide entwickeln einen futuristischen Saal – eine Perle modernster Innenarchitektur. Doch der zu früh zurückgekehrte Van Buren schmeißt entsetzt die Handwerker aus dem Haus und weigert sich zu zahlen. Als auch noch die eifersüchtige Audrey ihren Mann unter einem Vorwand nötigt, László zu entlassen, landet dieser in einem Männerwohnheim und muss auf dem Bau arbeiten.
Nach Jahren voller Armut erhält László überraschend Besuch von Van Buren, der ihm ein Foto in einer Lifestyle-Illustrierten zeigt: der stolze reiche Mann in seiner Pracht-Bibliothek. Der eitle Kunstbanause hat inzwischen seine Meinung geändert und lädt den Architekten zu sich nach Hause zum Gala-Dinner ein. Dort macht er ihm ein „unmoralischen“ Angebot. Dieser soll ganz nach seinen eigenen Vorstellungen auf einem nahegelegenen Hügel ein Gemeindezentrum errichten, das Auditorium, Kapelle, Lesesaal und Sporthalle vereinen soll. Wohnen darf er im Gästehaus des Anwesens.
15 Minuten Pause (die ist Pflicht) und dann der zweite Akt – wie im Theater. Die Bauarbeiten sind voll im Gange, und mithilfe von Van Burens Rechtsanwalt ist es gelungen, Erzsébet und ihre Nichte Zsófia (Raffey Cassidy) in die USA zu holen. Doch nach den langen Entbehrungen während der Nazizeit und der sowjetischen Besatzung sitzt Erzsébet wegen Osteoporose im Rollstuhl.
Doch allmählich zeigen sich Risse. Die Van Burens zeigen ihr wahres Gesicht: Harry Lee macht sich an Zsófia ran, und László werden bei der Arbeit an seinem spektakulären Bauwerk ständig Steine in den Weg gelegt. Auf dem Fundament von Schmerz und Verlust will der Architekt in der kalten und wuchtigen Kraft des Brutalismus den künstlerischen Ausdruck für seine zerrissene Seele zeigen. Dieser typische Baustil der 1950er-Jahre ist geprägt von Kompromisslosigkeit und viel Beton. Kein Wunder, dass die Türme des Gebäudes an die Schornsteine der KZ-Krematorien erinnern. Diese Kunst schafft Feinde – und auch die Ehe von Erzsébet und László scheint am Ende zu sein. Van Buren und sein Architekt reisen nach Italien, um in den Marmorsteinbrüchen von Carrara den Altarblock für die Kapelle auszusuchen. Doch dann geschieht in einer der Höhlen etwas Schreckliches…
Dreieinhalb Stunden über das Leben und die Kunst eines Architekten – kann das funktionieren? Ja! DER BRUTALIST ist kein überlanger Dokumentarfilm, sondern ein Epos über zwei monströse Männer: einen verzweifelten Künstler und einen zynischen Industriellen, die nach dem Zweiten Weltkrieg und beim Aufschwung in den 1950er-Jahren mit sich und der Welt klar kommen müssen.
Brady Corbet, der auch gemeinsam mit seiner norwegischen Lebensgefährtin Mona Fastvold das Drehbuch schrieb, nutzt alle Mittel moderner Filmregie: Er verzahnt die scheinbar ruhige Handlung mit surrealistischen Sequenzen und realen Dokumentaraufnahmen aus den USA von damals. Wie schon der Klassiker „Citizen Kane“ von und mit Orson Welles ist DER BRUTALIST ein alle Grenzen sprengender Stilmix, der uns verstört und überwältigt zurücklässt.
Nach „Der Pianist“ spielt Adrien Brody hier zum zweiten Mal die „Rolle seines Lebens“. Damals erhielt er den Oscar. Jetzt ist er wieder nominiert.
P.S. Sowohl in der Originalfassung als auch in der deutschen Version wird viel ungarisch geredet. Diese Authentizität ist ein weiterer Pluspunkt des Films. Hingehen!
Der Brutalist (USa 2024)
216 Minuten
Drama
Brady Corbet
Brady Corbet, Mona Fastvold
Lol Crawley
Lol Crawley
Adrien Brody, Felicity Jones, Guy Pearce, Joe Alwyn, Raffey Cassidy, Stacy Martin, Isaach de Bankolé, Alessandro Nivola
Universal Pictures International Germany GmbH