Sozialdramen aus der linken Ecke, die in Marseille spielen: Das ist eindeutig die Handschrift des französischen Regisseurs Robert Guédiguian. Der überzeugte Sozialist macht aus seiner politischen Haltung keinen Hehl und greift in seinen Filmen immer wieder ähnliche Themen auf, meist mit seiner Ehefrau Ariane Ascaride in der Hauptrolle. So auch in DAS FEST GEHT WEITER.
Der Film beginnt mit einer Tragödie: Am 5. November 2018 stürzten in der Rue d‘Aubagne in Marseille zwei baufällige, benachbarte Gebäude ein. Acht Menschen starben. Nach wütenden Protesten über die skandalöse Wohnungspolitik der kommunalen Regierung wurden rund 4500 Einwohner, die in 578 (!) gefährdeten Gebäuden gelebt hatten, zwangsevakuiert.
Diese Vorgeschichte zeigt uns Robert Guédiguian mithilfe von TV-Dokumentaraufnahmen. Erst dann stellt er uns die Protagonisten von DAS FEST GEHT WEITER vor. Im Mittelpunkt steht die Krankenschwester Rosa (Ariane Ascaride), die sich politisch für die Grünen engagiert und sich als Kandidatin für die bevorstehenden Kommunalwahlen aufstellen lässt – wenn auch erst nach einigem Zögern.
Rosa und ihre zwei Söhne, der Barbesitzer Sarkis (Robinson Stevenin) und der Arzt Mina (Grégoire Leprince-Ringuet) bekennen sich zu ihren armenischen Wurzeln. Beide Männer wollen ihre alte Heimat im Krieg gegen Aserbaidschan unterstützen – aber wie? Der frisch verliebte Sarkis stellt seiner Mutter seine neue Freundin Alice (Lola Naymark) vor, die herzlich in die Familie aufgenommen wird.
Sarkis träumt von einer großen Familie, die er als Rache für den Völkermord an den Armeniern betrachtet. Doch das verärgert Alice, die es nicht wagt, ihm ihre Unfruchtbarkeit zu gestehen. Sie ist Schauspielerin und arbeitet zurzeit bei einem Theaterprojekt über den Jahrestag des Gebäudeeinsturzes mit. Immer wieder blendet der Regisseur im Verlauf des Films das makabre „Loch“ in der Rue d‘Aubagne wie ein Mahnmal ein.
Henri (Jean-Pierre Darroussin), der Vater von Alice, will seiner Tochter näher sein und ist ihretwegen nach Marseille gezogen. Der in sich ruhende Intellektuelle ist ein ehemaliger Buchhändler und auch nach seiner Pensionierung ein unermüdlicher Bücherwurm. Gemeinsam schaffen es Alice und Sarkis, Rosa und Henri miteinander zu verkuppeln. Doch wie finden die beiden so grundverschiedenen Personen – der schüchterne Kopfmensch und die hektische Politaktivistin – zueinander?
Das Private und das Politische – dieser Gegensatz ist DAS Thema in fast allen Filmen von Robert Guédiguian. Rosa muss sich entscheiden: Was ist ihr wichtiger, die neue Liebe oder die Karriere als Lokalpolitikern? Am Ende versammeln sich alle Anwohner auf einem Platz in der Nähe des „Lochs“, um diesen in „Place du 5 Novembre“ umzubenennen. Statt einer ernsten Gedenkfeier erleben wir zu unser aller Überraschung ein musical-ähnliches Happening…
Das Finale ist zu schön, um wahr zu sein: Bei der Endmontage seines Films erfuhr Robert Guédiguian vom Tod seines großen Vorbilds Jean-Luc Godard. Und so endet DAS FEST GEHT WEITER mit einer Hommage an den Nouvelle-Vague-Meister: In den letzten beiden Szenen zitiert der Regisseur Godards „Le Mépris“ („Die Verachtung“, 1963) – erst nur musikalisch, dann auch visuell. Wie einst der Odysseus-Darsteller schaut jetzt Rosa aufs blaue Mittelmeer. Und die Büste von Homer (!) thront über dem „Place du 5 Novembre“.
Guédiguian: „Godard hat dem Kino auf der ganzen Welt geholfen, sich zu entwickeln. Er lehrt Freiheit. Und er macht Lust auf Kino. Was mir als die größte aller Qualitäten erscheint.“ Der Regisseur selbst nennt DAS FEST GEHT WEITER provokant ironisch einen „Agitprop-Film“. Denn eigentlich ist dieses extreme Genre längst aus der Zeit gefallen. Doch auch Godard war mindestens ein Jahrzehnt lang dieser Art Kino verfallen. So schließt sich der Kreis.
P. S. Michèle Rubirola, die ehemalige Bürgermeisterin von Marseille, diente als Vorbild für die Rolle der Rosa.
Et la fête continue! (Frankreich / Itakien 2023)
107 Minuten
Tragikomödie
Robert Guédiguian
Serge Valletti, Robert Guédiguian
Pierre Milon, AFC
Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin, Lola Naymark, Robinson Stévenin, Gérard Meylan, Grégoire Leprince-Ringuet, Alice da Luz Gomes
Film Kino Text – Jürgen Lütz eK