Der Film der Woche

West Side Story

09.12.2021

60 Jahre nach der ersten Verfilmung gelingt Steven Spielberg mit WEST SIDE STORY ein eindrucksvolles Remake, das sich zwar eng am Original orientiert und sich vor ihm verbeugt, an entscheidenden Stellen jedoch behutsam aktualisiert wurde. 

In den 1950er-Jahren befindet sich New York im Umbruch. Viele der Gebäude in der Upper West Side werden abgerissen, um u.a. dem Lincoln Center und neuen Wohngebäuden Platz zu schaffen. Mitten darin befinden sich zwei Gangs im Dauerstreit. Die Jets, allesamt Nachfahren europäischer Einwanderer, fühlen sich bedroht von den Sharks, die sich aus Puerto-Ricanern zusammensetzen. Gerade aus dem Gefängnis entlassen, findet Tony (Ansel Elgort) einen Job sowie Unterschlupf im Keller der Drogistin Valentina (Rita Moreno). Natürlich versucht ihn der Jets-Anführer Riff (Mike Faist) wieder zurück in die Gang zu holen, doch Tony erkennt immer mehr, wie aussichtslos die Rivalität doch ist. Auf einer Tanzveranstaltung lernt er schließlich Maria (Rachel Zegler) kennen und ist schockverliebt. Einziges Problem: Sie ist die Schwester des Sharks-Anführers Bernardo (David Alvarez). Hat ihre Liebe überhaupt eine Chance?

1961 kam die Verfilmung des Broadway-Musicals WEST SIDE STORY in die Kinos und wurde innerhalb kürzester Zeit zum Klassiker. Eigentlich eine nahezu perfekte Verfilmung, weshalb sich vermutlich auch so lange niemand an eine Neuverfilmung traute. Erst Steven Spielberg fand den richtigen Weg, sich vor dem Original zu verbeugen, gleichzeitig aber die Romeo-und-Julia-Geschichte minimal zu modernisieren. So wirkt WEST SIDE STORY zwar durch seinen Look ziemlich altbacken – aber in einem positiven Sinne. Die Bilder sind knackig scharf, erinnern aber von der Farbgebung stark an die 1950er-Jahre – zumindest so wie wir sie aus Filmen kennen.

Eine wesentliche Neuerung ist jedoch die Kameraführung. der Kameramann Janusz Kaminski bewegt sich mit seinen Augen so elegant durch die Tanzszenen, dass die Kamera mit den Protagonisten zu verschmelzen scheint. Allein das war 1961 durch das sehr viel schwerere Equipment gar nicht möglich. Besonders sticht dabei die Tanzszene in der Turnhalle hervor, in der sich Tony und Maria das erste Mal sehen. Sie wirkt wie in einer einzigen Einstellung gedreht und da hier fast der gesamte Cast, diverse Statisten sowie eine ganze Band anwesend sind, muss die Aufnahme unfassbar aufwendig gewesen sein. 

Ein wichtiges Bindeglied zwischen den beiden Filmen ist Rita Morena, die im Original die Rolle der Anita verkörperte. Hier ist sie jetzt als Witwe Valentina zu sehen, die die Drogerie ihres verstorbenen „Gringo“-Mannes weiterführt. Außerdem darf sie hier den Klassiker „Somewhere“ interpretieren. Sie lässt zudem Tony in ihrem Keller unterkommen und verleiht seiner Figur damit deutlich mehr Tiefgang. 

Allerdings ist die Figur des Tony auch der einzige Schwachpunkt des Films. Die Besetzung von Ansel Elgort entpuppt sich nämlich nicht gerade als Ideallösung. Sicher, Elgort kann singen und überzeugt durchaus mit seiner schauspielerischen Leistung, doch die Hintergrundgeschichte eines gerade aus dem Knast entlassenen Draufgängers, der sich arg zurückhalten muss, war für meine Begriffe schlichtweg nicht glaubhaft. Aber das ist lediglich ein kleiner Wermutstropfen, der den Genuss nicht weiter trübt. 

Eine wichtige Änderung nahm Spielberg zudem bei der Besetzung vor. Wurden die Sharks im Original fast durchgehend von Weißen gespielt, setzt der Regisseur hier komplett auf Puerto-Ricaner, die untereinander Spanisch sprechen – es sei denn, sie werden darauf hingewiesen, doch bitte Englisch zu reden, damit „die Integration auch wirklich gelingt“. Dass Spielberg es strikt unterlässt, diese fremden Sprachfetzen zu untertiteln, unterstreicht die Botschaft nur umso mehr. 

Auch die zeitlosen Songs von Leonard Bernstein, zu denen der gerade erst verstorbene Stephen Sondheim die Text lieferte, erstrahlen in neuem Glanz. „Mambo“, „I Want to Be in America“, „Maria“ oder „Tonight“ dürften selbst denjenigen ein Begriff sein, die sich nur annähernd mit Musicals beschäftigt haben.  Zum Glück hat es Spielberg aber unterlassen, sie mit modernen Beats zu unterlegen – der Mann weiß halt, was er tut.

Die wahre Entdeckung des Films ist aber Rachel Zegler, die gerade erst die Highschool beendet hat und hier in ihrer ersten Rolle zu sehen ist. Wie sie die Figur der Maria ausfüllt, gepaart mit einer unfassbaren Stimmfarbe, ist eine absolute Wucht. Kein Wunder, dass sie sich bereits weitere Rollen in „Shazam 2“ und der Live-Action Verfilmung von Disneys „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ gesichert hat. 

WEST SIDE STORY ist ein mehr als gelungenes Remake, das die Liebe zum Original in jeder einzelnen Szene spüren lässt. Und das eindrucksvoll zeigt, dass Themen wie Gentrifizierung oder das Gefühl, seine Heimat zu verlieren oder gar überhaupt keine zu haben, vollkommen zeitlos sind. 

Trailer

ab12

Originaltitel

West Side Story (USA 2021)

Länge

157 Minuten

Genre

Musical / Drama

Regie

Steven Spielberg

Drehbuch

Tony Kushner

Darsteller

Rachel Zegler, Ansel Elgort, Ariana DeBose, David Alvarez, Mike Faist, Brian d’Arcy James, Iris Menas, Corey Stoll, Josh Andrés Rivera, Rita Moreno

Verleih

Walt Disney Studios Motion Pictures Germany GmbH

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