Sie gilt als eine der umstrittensten Frauen des 20. Jahrhunderts: Leni Riefenstahl (1902-2003). Frühe Karriere als Tänzerin, Stummfilmstar in populären Bergfilme. 1932 dreht sie mit „Das blaue Licht“ ihren ersten Spielfilm als Regisseurin. Schon früh wird sie eine fanatische Anhängerin von Adolf Hitler und erhält 1934 den Auftrag, den NSDAP-Parteitag in Nürnberg zu dokumentieren. Dieser NS-Propagandafilm „Triumph des Willens“ macht sie deutschlandweit populär – aber nach 1945 auch zur „persona non grata“. Aus dem 700 Kisten umfassenden Nachlass Riefenstahls, der sich im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz befindet, haben jetzt Regisseur Andres Veiel und Produzentin Sandra Maischberger den 120 Minuten langen Dokumentarfilm RIEFENSTAHL montiert.
Die TV-Journalistin Maischberger hatte 2002 für arte ein langes Interview mit der 100-Jährigen geführt, ein Jahr vor deren Tod. Nach dem Tod von Riefenstahls Lebensgefährten Horst Kettner im Jahr 2016 erhielt Maischberger das Angebot, den damals noch im gemeinsamen Haus des Paares im bayerischen Pöcking befindlichen Nachlass zu sichten. Gemeinsam mit Veiel machte sie sich auf Spurensuche. Herausgekommen ist ein Film, der viele Fragen offen lässt…
Ich bekenne: Der Erkenntnisgewinn ist für meine Generation – ich bin Jahrgang 1950 – gleich Null. Aber die Jüngeren unter uns Kinofans mögen beim Betrachten auch Neues entdecken. Denn Regisseur Andres Veiel wühlte sich durch einen unglaublichen Wust an Material – diese Energieleistung muss man bewundern! Ausführliche Filmausschnitte aus „Das blaue Licht“, „Triumph des Willens“ und „Olympia“ (1938) gehen einher mit Interviews der älteren Riefenstahl vor laufenden Kameras.
1945 wurde Leni Riefenstahl von US-amerikanischen Soldaten als Nazi gefangengenommen und saß in Dachau in Haft. Doch aus vier Entnazifizierungsprozessen ging sie als Mitläuferin oder als „nicht betroffen“ hervor. So konnte sie in den 1950er-Jahren eine zweite Karriere als Reisefotografin beginnen. 1969 brachte der Stern Riefenstahls Afrika-Reise zum Stamm der Nuba als Titelstory.
Im Zentrum von RIEFENSTAHL steht der Auftritt der 74-Jahrigen bei der WDR-Talkshow „Je später der Abend…“ am 30. Oktober 1976. Trotz kritischer Nachfragen von Moderator Hansjürgen Rosenbauer und Gast Knut Kiesewetter über ihre Rolle im Dritten Reich gelang es ihr, das Selbstbildnis einer unpolitischen Künstlerin zu vermitteln. Das ging sogar so weit, dass sie nach der Sendung eine Flut von positiven Zuschriften erhielt. So war das damals!
Regisseur Andres Veiel und Produzentin wählten nicht – was eigentlich naheliegend gewesen wäre – den einfachen Weg, die Figur Leni Riefenstahl als „Nazi-Braut“ zu verteufeln. Doch muss journalistische Fairness so weit gehen, dass manche der angeschnittenen Themen ungelöst im Raum stehen bleiben. Hat Joseph Goebbels nun versucht, Leni Riefenstahl zu vergewaltigen – was sie im Film behauptet – oder nicht? Wollte sie sich als „Nazi-Opfer“ präsentieren? Hatte sie in ihrem späteren Leben Adolf Hitler abgeschworen?
Leider wird ein Aspekt völlig weggelassen – und der ist in meinen Augen der wichtigste: Was machte die besondere Ästhetik der Filmsprache Leni Riefenstahls aus? Wie hat sie den für sie typischen Pathos der Bilder inszeniert, wie geschnitten? Wir wissen, dass sich Hollywood in spektakulären Massenszenen Riefenstahl später als Vorbild genommen hat. Wer denkt da nicht an „Star Wars“ von George Lucas oder „Dune“ von Denis Villeneuve? In „Triumph des Willens“ arbeitete sie mit 18 (!) Kameramännern, „Olympia“ über die Olympischen Spiele 1936 in Berlin gilt inzwischen als Meilenstein des Sportfilms.
Hier wurde eine Chance vertan. Schade!
Riefenstahl (Deutschland 2024)
120 Minuten
Dokumentation
Andres Veiel
Andres Veiel
Majestic Filmverleih GmbH